Über die Ostsee kann ich nicht mehr

LESUNG Der Berliner Lyriker Björn Kuhligk präsentiert im Ocelot seinen neuen Gedichtband, „Die Stille zwischen null und eins“

Witziger könnte man einen Dichter kaum einführen. Der Moderator des Abends, Autor und Verleger Kai Splittgerber, erzählt von seinem Praktikum in einer Literaturagentur. So gern wollte auch er mal eine Veranstaltung moderieren. Ausgerechnet eine Lesung des Berliner Lyrikers Björn Kuhligk war es dann, die er als Erstes abbekam – ebenjenes Dichters, der jetzt schmunzelnd neben ihm sitzt. „Ich hatte Angst“, erzählt Splittgerber. Denn irgendwer hatte ihm erzählt, Kuhligk sei ein „Asphalt-Rambo“. Ein Rezensent hatte Kuhligk kurz zuvor als „Asphalt-Rimbaud“ beschrieben.

Björn Kuhligk soll an dem Abend in der Buchhandlung Ocelot seinen neuen Lyrikband „Die Stille zwischen null und eins“ präsentieren – und es wird schnell deutlich, dass seine neuen Gedichte heute nicht weiter von krawalliger Großstadtlyrik entfernt sein könnten. Kuhligk, dann und wann auch Autor der taz, ist in Berlin nicht nur als Dichter, sondern dazu als Herausgeber von Lyrikanthologien und Netzwerker für die Lyriker seiner Generation wichtig. In seinen ersten Gedichten, 2000 unter dem visionären Titel „Am Ende kommen Touristen“ erschienen, arbeitete er sich viel an der Stadt ab. Jetzt hat es ihn in die Beschäftigung mit der Natur getrieben. Aber Vorsicht – denn es geht vielmehr um die Suche nach dem, wie man Natur heute noch beschreiben kann, ohne dabei Klischees zu bedienen.

Die Gedichte Kuhligs kommen daher, als seien sie in Anführungsstrichen geschrieben. Sie handeln weniger von der Natur selbst, vom schönen oder gar romantischen Hier und Jetzt grüner Wiesen – als von jenen, die ausziehen, die Natur zu suchen oder zu bezwingen. Es geht um Tiefseetaucher, Großwildjäger und Bergsteiger. Mal findet der Naturfreund keinen Wald, sondern nur gestapeltes Holz, „nichts als Möbel“. Dann wird der Frühling als „Blinken des Windparks“ beschrieben. Es gibt sie nicht mehr, die Idylle. Und die, die trotzdem von ihr träumen, machen sich oft lächerlich: „Über die Ostsee kann ich nicht mehr“, heißt es an einer Stelle ironisch.

Von Slam inspiriert

Ironie, die bei Björn Kuhligk nach wie vor oft in einer Schnoddrigkeit daherkommt, die auf große Resonanz stößt beim zahlreich erschienenen und jungen Publikum dieses Abends. „Der Nachbar mit der Klatsche macht aus Fliegen Matsche“: Wie viele Lyriker seiner Generation ist auch Kuhligk von den Lesebühnen, vom Slam inspiriert – und das steigert den Unterhaltungswert seiner Auftritte sehr.

Ironie, Schnoddrigkeit und die Unfähigkeit, in der Natur aufzugehen: Insofern stimmt jenes Bild Kuhligks als Asphalt-Rambo vielleicht doch noch, der immer eher in der Stadt zu Hause sein wird. Und damit passt auch die Lesung zur ultraurbanen Buchhandlung Ocelot. Seit der Eröffnung vergangenen Sommer kann man dort nicht nur Bücher kaufen, sondern sich mit eBook-Readern in Sitzecken zurückziehen und mit dem Laptop im hauseigene Café mit WLAN sitzen. Es gibt wenige Orte in Berlin, wo man im Sinne Björn Kuhligks besser über Natur nachdenken kann. SUSANNE MESSMER

■ Björn Kuhligk: „Die Stille zwischen null und eins“. Hanser Berlin