MICHAEL BRAUN (ITALIENKORRESPONDENT DER TAZ) LIEST DIE ITALIENISCHE PRESSE
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Trüffelschau

Italien erlebte eine Wahl, die nicht bloß Gewichte verschob, mehr oder minder stark, sondern gleich die gesamte politische Landschaft revolutionierte. Ein Schock auch für die italienische Presse, von rechts bis links. „Das Wahlresultat ist ein unverdaulicher Mischmasch, der es nicht gestattet, den Italienern einen Teller mit anständigem Geschmack zu servieren“, kommentiert das Berlusconi-Blatt Il Giornale.

Anderswo macht sich mehr als bloß Appetitlosigkeit breit, so spricht der rechtsliberale Corriere della Sera von einem „Hurrikan, der sich über Italiens Himmel zusammenbraut, „mehr noch, der perfekte Sturm“, der das Land in politische, institutionelle, schließlich die demokratische Blockade zu stürzen drohe, mit fatalen Konsequenzen: „Dringend müsste das Band zwischen Volk und Palazzo wieder geknüpft werden, doch die Paralyse droht es vollends zu zerschneiden.“

Und es gibt Zustimmung von links außen, von Il Manifesto: „Es war tatsächlich ein Tsunami. Bersani ist ertrunken. Berlusconi hat wieder einmal wie durch ein Wunder überlebt. Grillo surft auf der Strömung, man weiß nicht, wohin.“ Wie aber weiter im Tsunami? „Wir finden uns mitten in einer Flutwelle, Schwimmen oder Ertrinken ist eine Frage leichter Schattierungen“, bemerkt die linksliberale La Reppublica.

Was also tun, wenn das Wasser bis zum Hals steht? Berlusconi bot der Linken unter Pierluigi Bersani umgehend eine große Koalition an, doch die Unità, früher einmal Organ der glorreichen KPI, heute Parteizeitung der Partito Democratico Bersanis, will von einer solchen Lösung partout nichts wissen: „Eine Allianz zwischen PD und PdL würde einfach als defensiver, auf Machterhalt gerichteter Pakt wahrgenommen, dazu noch im Kontrast zu den Grundstimmungen – dem Verlangen nach Wechsel, dem Misstrauen, der Angst vor den sozialen Auswirkungen der Krise – , die die Wähler mit Macht zum Ausdruck brachten.“ Und auch La Repubblica zeigt sich konsterniert von der Perspektive eines Pakts Bersani-Berlusconi, bemüht aber statt der eigenen Wähler Europa: „Um solch eine Missehe zu rechtfertigen, sagen diese Fans des politischen Selbstmords, Europa habe Angst vor Grillo. Richtig, Europa hat Angst vor Grillo. Aber bei Berlusconi empfindet es schieren Terror.“

Il Fatto Quotidiano – die einzige Tageszeitung, die immer schon voller Sympathie über Grillo und seine Bewegung berichtete – erinnert daran, dass die Rechte und die Linke vor den Wahlen mehr als ein Jahr lang gemeinsam die Regierung Monti gestützt hatten, und bilanziert schon das Ende ihrer Dienstfahrt, gleich zu welcher Lösung sie greifen sollten: „Für die Parteien ist das Resultat der (Begräbnis-)Urnen die perfekte Nemesis: Wenn sie wieder zusammengehen, schenken sie Grillo weitere Millionen Stimmen; wenn sie uns hingegen wieder wählen lassen, tun sie das auch.“

Es ist aber auch Il Fatto Quotidiano, der durchaus Spielräume für einen Kompromiss auf Zeit zwischen Bersanis PD und Grillos Fünf Sternen sieht: „Genau besehen wird der Grillismus aus einer Rippe der Linken geboren; jener Linken, die am unnachgiebigsten war mit Blick auf die Probleme der Legalität und der Aversion gegen die Kaste der Politiker, die nicht mehr den Zynismus gewisser roter Politikprofis ertrug und in der ‚anderen Politik‘ ihren idealen Zielpunkt gefunden hat. Grillo täte gut daran, den Dialog zu erleichtern, auch um den Preis der Aufgabe eines recht deutlichen Herangehens: am Ufer des Flusses auf den Kadaver eines schwer angeschlagenen politischen Systems zu warten.“

Doch während links tatsächlich Begräbnisstimmung herrscht, ist rechts die Laune nach Berlusconis erneutem Comeback insgesamt recht gut. Ein wenig hat dazu auch Peer Steinbrück beigetragen. Das stramm rechte Blatt Libero zeichnet ein Steinbrück-Bild, als wäre der fast ein zweiter Berlusconi; „der Kasper“ (das wird auf Deutsch zitiert) habe er auf der Schule geheißen, und dann habe er sich sein Geld im Rotlichtviertel Reeperbahn verdient, als Parkplatzwächter.

„Besser zwei Clowns als ein Anstreicher“, greift dagegen die Berlusconi-Gazette Il Giornale tief in die Nazikiste, schreibt dann, Italien habe auch gegen den Euro votiert, mit womöglich traumatischen Auswirkungen für die Eurozone: „Genau das also, was Merkel vermeiden will, um weiter ihren Traum von einem Vierten Reich in demokratischer Version zu träumen. Ein Traum, der offensichtlich auch Steinbrück gefällt.“