Fußball-Bundesliga: Voll daneben

Unter Hertha-Fans macht sich nach dem 0:2 in Nürnberg Skepsis breit. Ein Streifzug durch Kneipen zeigt: Von Aufbruch ist nach dem Rückrundenstart wenig zu spüren.

Blicke, die alles sagen: Christoph Janker (l) und Änis Ben-Hatira nach dem zweiten Treffer der Nürnberger. : dpa

Neues Jahr, neuer Trainer, neue Hertha? Die Hoffnungen waren vorhanden bei den Fans, zumindest noch am Samstag um 15.30 Uhr. Grundlagen dafür waren die Verpflichtung von Michael Skibbe als neuem Chefcoach kurz vor Weihnachten und eine solide Hinrunde, die für 2012 ziemlich alle Gedankenspiele ermöglichte. Der dämmrig-diesige Himmel über dem Wedding aber kündete schon am frühen Nachmittag davon, dass man sich Träumereien lieber sparen sollte.

Im Parkwächter, einer Kneipe an der Brunnenstraße, sitzen nur die hartgesottensten Herthaner. Die Fanschals haben bereits einige Jahrzehnte Misserfolg auf dem Buckel - mit dem ersten Spiel der Rückserie in Nürnberg keimt hier wieder ein wenig Hoffnung auf. "Nu komm schon, Ronny", schreit einer mit spärlichem grauen Haar durch den Raum und kündigt im gleichen Atemzug an: "Macht euch schon mal bereit zum Jubeln." Einzig: Ronny, Herthas Ersatzstürmer für dessen Bruder Raffael, läuft sich zum wiederholten Mal in der Club-Abwehr fest. Matsch und tiefer Rasen in Nürnberg, Rauchschlieren vor der Leinwand im Parkwächter.

Die Partie beginnt eigentlich recht gut, in der ersten Halbzeit kontrollierte Hertha das Geschehen. Von Höhepunkten zu sprechen aber verbietet sich, weil die Chancen meist nicht aus gefälligen Kombinationen, sondern aus Fehlern der Franken resultieren. Pierre-Michel Lassoga und Ronny können die Nachlässigkeiten der Gastgeber nicht nutzen. Auch die Standardsituationen in einem an Fouls reichen Spiel ändern nichts am Ergebnis: "Dit könn wa doch nich", ist sich die Altherrenriege am Tresen im Parkwächter einig.

Die Stimmung wird langsam schon wieder resignativ. Erst recht, als Nürnberg nach 38 Minuten durch Alexander Esswein in Führung geht. "Wieso geht da keiner drauf?" Später wird der Tenor sein: "Gegen Nürnberg können wirs einfach nicht." Nur: gegen wen dann?

Seitenwechsel in Nürnberg, Ortswechsel in Berlin. In der FC Magnet Bar in der Veteranenstraße gucken die jüngeren Hertha-Anhänger im Separee im Keller. Unterirdisch ist auch das Spiel in der 2. Halbzeit: "Das kann doch nicht wahr sein", brüllt ein großer, junger Mann durch den Raum, als die Blau-Weißen nach knapp 70 Minuten die größte Chance beim Strafraumgestocher verpassen. "Da kommt man so guter Dinge hierher - und dann das." Er wirft Bierdeckel durch den Raum. Es sollte die größte Möglichkeit der Hertha in Durchgang zwei bleiben.

"Hauptsache, jetzt fangen nicht sofort alle an, über Skibbe zu diskutieren", sagt Mick, als kurz vor Schluss nicht unverdient das 2:0 für die Nürnberger fällt. Mick, eine kleine, schmale Frau um die 30 mit schwarzen Haaren, schaut die Auswärtsspiele immer im Magnet. "Die Euphorie war schon groß", sagt sie, "wie das halt ist, wenn es wieder losgeht." Ob die Enttäuschung größer ist als sonst? "Der Tag ist immer im Arsch, wenn die Hertha verliert." Dennoch: Sie glaubt an ihr Team, sie glaubt an den neuen Trainer. "Schlimmer ist das, was die Medien sofort schreiben, wenn der jetzt zwei, drei Spiele nicht gewinnt."

Die Höhepunkte in Hälfte zwei: die gereichten Snacks und eine eiskalte Cola. Auf dem Bildschirm: Getrete im Matsch, von spielerischer Linie ist auf beiden Seiten wenig zu sehen. Sicher, der Untergrund im Nürnberger Stadion lud weniger zum Fußballspielen denn zum Schlammcatchen ein. Das Fehlpassfestival, das auf Hertha-Seite von Andreas Ottl und Peter Niemeyer in leitenden Funktionen veranstaltet wurde, entschuldigt das aber nicht. Im Umschalten von der Abwehr in den Angriff war keinerlei Konzept, keine Spielidee zu sehen. "Dabei haben wir mit Lasogga so einen tollen, bulligen Stürmer da vorne", sagt Mick, "der gehört eher in die Premier League."

Im Aufbau kommt zu wenig

Erkenntnisse, Stand: 17.21 Uhr? Nur vorläufige. Es lag sicher nicht nur am Fehlen von Raffael. Bei der Hertha mangelte es beim Überbrücken des Mittelfelds an gestalterischen Ideen. Von Ottl, Niemeyer und mit Abstrichen auch von Patrick Ebert kam im Aufbau zu wenig. Vielleicht fehlt es gerade zentral an Personal, Raffael als einziger Ideengeber dürfte für die Bundesliga eine zu dünne Besetzung sein. So kann es nur über das Kollektiv gehen - dann aber muss Skibbe auch das Konzept ändern. Überhöhte Erwartungen hat er aber selbst zuallererst gebremst: "Ich schaue auf die 40-Punkte-Marke", sagte er zum Amtsantritt. Man kann das Realismus nennen. Von dem aber halten die Hertha-Fans im Magnet-Keller nicht viel.

Klar, die Hertha hat nur ein Spiel verloren. Am Ende ist das 0:2 bei einem schwachen 1. FC Nürnberg keine Katastrophe. Was man sich aber nach vier Wochen Winterpause im stillen Kämmerlein erhofft hatte, ist nach kurzen 90 Minuten wie weggefegt. Es war nicht die Tatsache, dass das Team verloren hat, eher die Art und Weise, wie es agiert hat, die den meisten Fans in den beiden Kneipen die Lust auf Bundesligafußball im neuen Jahr schnell wieder verdorben hat.

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