EU gibt sich gerne als Anwalt der Ärmsten

EU macht sich für Entwicklungsländer stark, wenn es ihr selber nutzt. Mandelson beschuldigt USA und Brasilien

BERLIN taz ■ Die viel gescholtene Europäische Union macht sich in Sachen Welthandel zum Anwalt der ärmsten der Entwicklungsländer. So jedenfalls stellte EU-Handelskommissar Peter Mandelson gestern in Berlin die europäische Position im Vorfeld der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in zwei Wochen in Hongkong dar.

Seit der letzten WTO-Ministerkonferenz vor zwei Jahren in Cancún haben sich die Fronten völlig verändert. Damals standen die EU und die USA gegen die Entwicklungsländer. Jetzt haben sich die USA – zumindest in der umstrittenen Agrarfrage – auf die Seite der Entwicklungsländer gestellt. Gemeinsam lehnten sie das Angebot der EU, ihre handelsverzerrenden Agrarsubventionen um 70 Prozent und ihre Agrarzölle um 47 Prozent zu senken, als völlig unzureichend ab.

Gestern holte Mandelson zum Gegenschlag aus: „Hinter der Kritik an der EU stehen keineswegs alle Entwicklungsländer, sondern allein die großen Agrarexporteure.“ Deren „extravagante Forderungen“ nach einer Handelsliberalisierung im Agrarbereich seien nicht nur für die EU-Landwirte inakzeptabel, sie seien insbesondere für die ärmeren, weniger wettbewerbsfähigen Länder eine Katastrophe. Die Ländergruppe Afrika-Karibik-Pazifik (AKP) hätte im Falle einer Marktöffnung Agrarnationen wie Brasilien kaum etwas entgegenzusetzen. Bisher profitieren die AKP-Staaten von einem bevorzugten Zugang zu den EU Märkten. „Wenn wir die Forderungen der USA und Brasiliens akzeptieren, würden zwei Drittel des Handels der AKP-Staaten mit Europa wegbrechen“, warnte Mandelson.

Während die EU-Kommission im Agrarbereich die Märkte der armen Entwicklungsländer – und nebenbei auch ihre eigenen – unbedingt schützen will, sieht sie eine Marktöffnung für Industriegüter und Dienstleistungen mit ganz anderen Augen. Hier seien „große Gewinne für die Entwicklung“ zu erwarten, so Mandelson. Nur am Rande erwähnte er, dass auch die EU ein Interesse daran hat: „Das ist von entscheidender Bedeutung für die EU und besonders für den Exportweltmeister Deutschland.“

Am Wochenende hatte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy einen Entwurf für eine Abschlusserklärung für Hongkong präsentiert. Konkrete Angaben über Zoll- und Subventionsabbau fehlen darin jedoch. Die im Entwurf enthaltenen Versprechen an die ärmsten Entwicklungsländer, sie dürften ihre Agrarmärkte notfalls mit höheren Zöllen gegen Importfluten schützen, kritisiert Marita Wiggerthale von der entwicklungspolitischen Organisation Oxfam ebenso wie das plötzliche Eintreten der EU für die AKP-Staaten als bloßes „Trostpflaster, das davon ablenken soll, dass eine wirkliche Entwicklungsagenda fehlt“. Dafür sei nötig, dass der Norden nicht länger mit Hilfe von Subventionen Überschüsse produziert und diese dann zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt drückt. Der EU-Vorschlag zum Subventionsabbau sei eine Mogelpackung, ein bloßes Umschichten von unerlaubten zu erlaubten Subventionen. An der Gesamtproduktion in der EU ändere sich dadurch wenig. NICOLA LIEBERT