Pro und Contra Castingshow: Gehen wir heute noch Bohlen?
Sat.1 zeigt das Finale der Castingshow "The Voice of Germany": Talent statt Drama, Respekt statt Niedertracht. Das Ende der Bashingsshows?
PRO
Es gibt nicht viele Gründe, um Markus Lanz zu loben, den Schmeichel-Talker vom ZDF.
Aber was er vor knapp einer Woche bei der Verleihung der Goldenen Kamera sagte, war richtig. Lanz hielt eine Laudatio auf "The Voice of Germany". Auf jene Castingshow, die vor wenigen Wochen angetreten war, um alles anders zu machen.
Anders als Dieter Bohlen. Natürlich sei es unterhaltsam, wenn Bohlen einem Kandidaten vor einem Millionenpublikum bescheinige, dass er noch weniger Töne treffe, als ein peruanischer Nacktpudel Haare am Hintern hat, sagte Lanz. "Aber nicht für den, der gerade da vorne steht und glaubt, dass er sein allerbestes gegeben hat." Nicken im Publikum. Ein Grinsen bei John de Mol, dem Erfinder von "The Voice".
Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die Goldene Kamera, eine Veranstaltung des Springer-Verlags, die Bühne bietet für den Abgesang auf Dieter Bohlen. Ist es doch auch die Bild aus dem Hause Springer, die seine Show am laufen hielt, mit Geschichten über neuste Nichtigkeiten bei "Deutschland sucht den Superstar". Bohlen am Ende? Einiges spricht dafür.
Vor allem der Umstand, dass gute Künstler zu guten Castingshows gehen. Das bewies bereits Lena Meyer-Landrut. Niemals hätte sie vor Bohlen gesungen, sie vertraute der Ernsthaftigkeit, der Fairness und dem musikalischen Verständnis von Stefan Raab.
Das beweist auch "The Voice of Germany". Die Künstler dort sind schlicht besser, als die jungen Frauen und Männer, die sich von Dieter Bohlen schlachten lassen. Sie singen besser, sie haben Ausstrahlung und Charme. Da kann Bohlen auf die Malediven fliegen, den Jury-Tisch im Sand aufbauen, die Kandidaten vor Palmen singen lassen. Es hilft nichts. Heute steigt das Finale von "The Voice". Die Finalisten werden großartig singen, Nena wird aufstehen und tanzen. Und Dieter Bohlen? Zählt weiterhin die Arschhaare des peruanischen Nacktpudels.
Felix Dachsel
--------
CONTRA
Es gibt gar keinen Grund, Markus Lanz irgendwie recht zu geben. In Wahrheit fährt sein Lieblingsverlag, der der Bild-Zeitung, prima damit, dass es einerseits "Deutschland sucht den Superstar" gibt und andererseits "The Voice of Germany" (VoG). Nicht zufällig ließ er unerwähnt, dass das Experiment "Castingshow jenseits des Krawalls von Dieter Bohlen" bereits von Stefan Raab in Allianz mit der ARD begonnen wurde - heraus kam dabei 2004 ein Mann wie Max Mutzke, der sich bis heute im Popgeschäft wenngleich mehr als Komponist halten kann.
Tatsache ist aber, dass es bei allen drei Castingformaten, DSDS wie VoG oder "Unser Star für Baku", um unterschiedliche Publikumssegmente ging: Bei Bohlen ist die Schadenfreude und die Herabsetzung Konzept, bei VoG lebt man von Kuscheligkeit - und bei Raab von der Kunst, popmusikalische Expertise zu lancieren. John de Mol, Erfinder von VoG, konnte seine Show in den Niederlanden ausprobieren - mit Erfolg. Und weil er die Raab-Vorlagen als erfolgreich bereits kannte.
Sie alle wissen, auch Bohlen, der lieb sein kann, aber in DSDS qua Definitionem nicht darf und möchte: Es gibt viele Nischen für Programmformate, nicht nur eine - insofern sind "Unser Star für …" und "Voice of Germany" Ergänzungen und Erweiterungen, aber kein Ersatz für DSDS.
Anders gesagt: Wer DSDS nicht mochte, aber den Wettbewerb schätzt, wer also auf den moralischen Wert des Dauerrespekts vor allem und jedem hält, hat es mit VoG gemütlich und mit "Unser Star für Baku" ohnehin. Wen die Show, die zum Eurovision Song Contest qualifiziert, langweilt, wer also lieber Niedertracht und gute bis miese Sprüche mag, wird sich immer eher für den einstigen Modern-Talking-Erfinder erwärmen können, ja, müssen. Wenn Markus Lanz so sehr Respekt lobt, muss es misstrauisch stimmen. Er lobpreist nur eine Masche. Er intoniert das Wort "Respekt" wie ein satter Kampfhund. Jan Feddersen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“