Agenda 2010: Spatzen retten

NATURSCHUTZ Weltweit sterben täglich 130 Arten aus. Mit ihnen verschwinden wichtige Ressourcen und Lebensgrundlagen. Das neue Jahr könnte ein Schicksalsjahr werden

Von der deutschen Strategie zur biologischen Vielfalt ist bislang wenig umgesetzt

VON HANNA GERSMANN

BERLIN taz | Wer seinen Marmorkuchen vor dem Cafe noch gegen ihn verteidigen musste, wird es schwer glauben: Der Spatz verschwindet. Zwar bevölkert er noch immer Berlin, in Hamburg aber ist der Spatzenbestand in den letzten 30 Jahren beispielsweise um 85 Prozent zurückgegangen. In anderen europäischen Städten sieht es ähnlich aus. Der Haussperling – so der korrekte Name – steht auf der Vorwarnstufe für die Rote Liste der gefährdeten Brutvögel.

Man mag den Spatz für verzichtbar halten. Er piepst nur, kann nicht mehrere Töne pfeiffen, ist grau und frech. Aber: Er ist eines der besten Beispiele dafür, dass Tiere und Pflanzen es immer schwerer haben. „2010 ist das entscheidende Jahr, um dem Artenschwund entgegenzuwirken“, sagt Rüdiger Rosenthal vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Für den Umweltverband werde dies „das Thema“. Dabei sollte der Artenschwund in diesem Jahr eigentlich schon gestoppt sein. Das hatten sich die Staaten der EU zumindest vorgenommen. Aber: Meere werden weiterhin geplündert, Urwälder abgeholzt, weltweit sterben jeden Tag rund 130 Arten aus.

Die Vereinten Nationen haben 2010 zum Jahr der Biodiversität, also der biologischen Vielfalt, ausgerufen. Auch Rosenthal meint: „Da kommen wichtige zwölf Monate.“ Auf internationaler und auf nationaler Ebene: In Japan findet im Herbst die zehnte UN-Naturschutzkonferenz statt, auf der die Staatengemeinschaft beispielsweise über die Begrenzung der Biopiraterie sowie über ein weltweites System von Schutzgebieten und deren Finanzierung verhandelt. Den Vorsitz hat die Bundesrepublik, die vor zwei Jahren auch Gastgeberin für die neunte Weltnaturschutzkonferenz in Bonn war.

Deutschland gab sich damals als Naturschutzvorreiter. Schon 2006, als Schwarz-Rot noch an der Macht war, verabschiedete die Regierung eine „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ – mit 30 Zielen und 430 Maßnahmen für die Natur. Doch hapert es bis heute an der Umsetzung. Das wollen die Umweltschützer 2010 ändern. Sie fordern ein „Finanzprogramm für biologische Vielfalt“: 300 Millionen Euro pro Jahr, mit denen etwa Moore und Wälder geschützt, Deiche verlegt und Räume für Auen geschaffen werden sollen. Die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich bisher nicht geäußert.

Hier Druck zu machen, ist nicht einfach. Der BUND arbeitet zunächst an einem Bundesländer-Ranking: Wer schützt die Natur am besten? Das Dilemma: Umweltschutz braucht Symbole. Eisbär oder Panda leben aber weit weg. So entsteht in der Öffentlichkeit nur das Gefühl: „Was geht mich das an?“ Helfen könnte den Artenschützern der Inder Pavan Sukhdev. Der ehemalige Deutsche-Bank-Ökonom entwickelt so etwas wie Preisschilder für die Natur.

Der Forscher geht davon aus, dass die Wälder, Ozeane und Böden allerlei Nützliches bescheren: Essen, sauberes Wasser, Hochwasserschutz, Speicher für klimabelastendes Kohlendioxid. Und er kalkuliert ihren Wert. Eines seiner Ergebnisse bisher: Die weltweite Abholzung von Wäldern verursacht Schäden von bis zu 5 Billionen US-Dollar pro Jahr.

Doch zurück zum Spatzen: Er gilt den Biologen als „Kulturfolger“, also als eine Art, die sich durch das Wirken des Menschen eigentlich positiv entwickelt hat. Lange Zeit war das auch so. Der Haussperling fand in Mauerlöchern, in Scheunennischen, unter losen Dachpfannen Platz zum Nisten. Doch mit sanierten Häusern, Neubauten mit glatten Fassaden, Glas und Beton kommt er jetzt nicht mehr klar. Darum hat die Deutsche Wildtier Stiftung eine Kampagne gestartet: „Rettet den Spatz“ – und bietet für 29,90 Euro Nistkästen an.

www.deutschewildtierstiftung.de