Die Wahrheit: Kampf den Pyjamamamas

Ich wohne in einer Gegend, in der die Leute selten Schlafanzüge außer Haus tragen ...

Ich wohne in einer Gegend, in der die Leute selten Schlafanzüge außer Haus tragen. Ich selbst mache das gar nicht, ich besitze nicht mal solch ein Kleidungsstück. Schlafanzug - wie das schon klingt. Wie Zwangsjacke. Man wird in einen Anzug gesteckt und in den Schlaf versetzt.

Noch schlimmer ist das Wort "Pyjama". Die Engländer haben es Mitte des 17. Jahrhunderts aus Indien mitgebracht, als das Land noch britische Kolonie war. Auf Hindi heißt es jedoch "Pajama" und bezeichnet eine leichte Hose. Der Engländer hat das Wort verballhornt, wie er es mit Fremdsprachen eben zu tun pflegt. Die Iren können ein Lied davon singen, man muss sich nur die anglisierten Ortsnamen ansehen. Und aus dem wohlklingenden "Uisce beatha", was auf Irisch "Lebenswasser" bedeutet, haben die Kolonialherren das nach Kater klingende "Whisky" gemacht, weil es dem schwerzüngigen Engländer leichter über die Lippen geht.

Die Iren haben den Pyjama von der Kolonialmacht nicht nur übernommen, manche tragen ihn auch in aller Öffentlichkeit. Diese unsägliche Mode kam zuerst in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Schanghai auf und konnte von der chinesischen Regierung nicht unterbunden werden. Weil der Pyjama aus dem Westen kam, galt es als Zeichen des Wohlstands, ihn zum Shoppen zu tragen.

In Irland ist es genau umgekehrt. Hier ist er zu einer Maßeinheit des Elends geworden: Je mehr Leute im Pyjama auf der Straße sind, desto ärmer die Gegend, lautet eine Faustregel, die Sozialarbeiter aufgestellt haben. Mehrere Schulleiter haben in Rundbriefen an die Eltern darum gebeten, nicht im Schlafanzug in der Schule aufzutauchen. Das sei den Lehrern peinlich und gebe den Kindern ein schlechtes Beispiel, schrieb der Grundschuldirektor Joe McGuinness aus Belfast. Bis zu 50 Pyjamamamas rotteten sich jeden Morgen auf dem Schulhof zusammen, nachdem sie ihre Kinder angegeben haben, beklagte er. Die Lokalzeitung habe bereits darüber berichtet und ADPS diagnostiziert - das "All Day Pyjama Syndrome". Auf deutsch: PRUDU - "Pyjamas rund um die Uhr".

"Wozu soll ich mich umziehen," fragte ein erboste Mutter, "wenn ich ohnehin wieder ins Bett gehe, nachdem ich meine Tochter abgeliefert habe? Ich trage Schlafanzüge 24 Stunden am Tag." Was mag sie bei der Zeugung der Tochter getragen haben? Einen Beischlafanzug?

Offenbar bezieht die Frau keine Sozialhilfe - zumindest nicht im Dubliner Stadtteil Damastown. Am dortigen Sozialamt hängt ein Schild, das die Sozialhilfeberechtigten darauf hinweist, dass sie sich gar nicht erst anzustellen brauchen, wenn sie einen Pyjama tragen: Wer nicht in angemessener Garderobe erscheint, bekommt kein Geld.

Nachthemden sind dagegen etwas aus der Mode gekommen. Erstmals sind sie um 1500 in Italien aufgetaucht. Eine besonders reizende Form des Nachthemds ist das Babydoll, das nach dem gleichnamigen Spielfilm von Elia Kazan 1956 zum Renner wurde. Vermutlich würden die Herren im Sozialamt von Damastown in diesem Fall eine Ausnahme machen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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