Mediziner in der Sinnkrise
: KOMMENTAR VON SABINE AM ORDE

Der Marburger Bund, Lobby der Klinikärzte, hat den Ort des Protests gut ausgewählt: Die Berliner Charité ist altehrwürdig, renommiert – und extrem gebeutelt. Seit Jahren spart der chronisch klamme Berliner Senat an dem Universitätsklinikum, die dortigen Mediziner sind leidgeprüft und protesterprobt.

Deshalb lässt sich nur begrenzt von der Charité auf andere Unikliniken schließen, und noch viel weniger auf die kommunalen Krankenhäuser im Rest der Republik. Dennoch zeichnet sich an der Charité etwas ab, was bundesweit für viele Mediziner gilt – und was sie auf die Straße treibt: die Sinnkrise des Arztberufes.

Es sind vor allem die jungen Assistenzärzte, die demonstrieren. Früher war für sie klar: Einige Jahre schuften sie im Krankenhaus bis zur totalen Erschöpfung, dann lassen sie sich mit einer gut gehenden Praxis nieder oder setzen darauf, zum Chefarzt aufzusteigen und richtig Geld zu verdienen. Auf beides haben junge Klinikärzte kaum noch Aussicht.

Die Arbeit im Krankenhaus wird so zu einer wenig erbaulichen Lebensperspektive. Es herrschen lange, zermürbende und familienfeindliche Arbeitszeiten bei durchschnittlichen Gehältern. Die Ärzte betreuen immer mehr Patienten mit immer kürzerer Verweildauer. Zudem sind deutsche Krankenhäuser noch immer extrem hierarchisch organisiert, was den Arbeitsvorstellungen vieler Nachwuchsmediziner widerspricht. Hinzu kommt ein Imagewandel der Ärzte in der Bevölkerung. Mediziner gelten heute nicht mehr als Halbgötter in Weiß, das Verhältnis der Öffentlichkeit zu den Ärzten ist gebrochen. Viele Patienten erwarten von ihnen eine gute Dienstleistung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Hinzu kommt ein gewisses Misstrauen: Der Patient sieht zwar in seinem Hausarzt keinen Gauner, dass Mediziner aber mitunter eng mit der Pharmaindustrie „zusammenarbeiten“, es sich auf Kosten der Patienten gut gehen lassen oder sich gar mit illegalen Methoden bereichern, das traut man ihnen schon zu.

Vordergründig geht es beim Ärztestreik also vor allem ums Geld. Interessanter ist die Identitätskrise des Arztberufes dahinter.