Politologin über Kraft und Löhrmann: „Das ist moderne Mütterlichkeit“
Frauen haben eher notgedrungen einen anderen Politikstil als Männer. Aber der ist im Moment gefragt, sagt die Politologin Helga Lukoschat.
taz: Frau Lukoschat, war das, was wir in NRW gesehen haben, weibliches Regieren?
Helga Lukoschat: Es war ein bemerkenswertes Regieren von zwei Frauen, die eine schwierige Konstellation über zwei Jahre mit recht großem Erfolg geführt haben. Bei den Neuwahlen werden sie womöglich wieder als Gewinnerinnen dastehen.
Hat es ihnen geholfen, dass sie Frauen sind?
Es hat ihnen auf jeden Fall nicht geschadet. Eigentlich sind Frauen ja eher im Nachteil, weil unsere Politik sehr männlich geprägt ist. Gefolgschaft bilden sich eher hinter Männern. Was aber Kraft und Löhrmann zugutegekommen ist: Sie strahlen beide etwas Vertrauenswürdiges, Bodenständiges aus. Kraft hat den Begriff der „Landesmutter“ ausgefüllt. Man traut ihr zu, dass sie ordentlich für das Land sorgt. Und zwar nicht als betuliche „Mutti“, sondern im Sinn von „Working Mum“. Das ist also auch ein moderneres Bild von Mütterlichkeit.
Der kooperative Politikstil, diese „Koalition der Einladung“, ist das nun weibliches Regieren?
Jahrgang 1957, ist Politologin und Vorstand der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft.
Es ist vielleicht ein Kennzeichen von Frauen, dass sie besonders darauf angewiesen sind, offen zu bleiben und zu moderieren. Sie können sich eben nicht wie Männer auf langjährige Seilschaften verlassen und haben nicht diese Art von Gefolgschaft hinter sich. Zudem ist es ein Politikstil, der besonders in einer Minderheitenregierung gebraucht wird. Im Fall NRW sieht man sehr deutlich, dass die Machtverhältnisse sich in Zeiten von Fünf- oder sogar Sechsparteiensystemen gewandelt haben. Es gibt seltener klare Mehrheiten, die Regierungen müssen offener werden. Ein kooperativer, einbeziehender Politikstil ist in diesen Fällen erfolgversprechender. Da können sich die Männer einiges von den Frauen abschauen.
Frauen führen anders?
Nein, Frauen sind ja nicht alle gleich. Und es gibt auch Männer, die kooperativer an die Politik herangehen. Hannelore Kraft muss machtbewusst sein, sonst wäre sie nicht in dieses Amt gelangt. Aber sie kann eben auch eine einladende Politik machen und dabei auf Ressourcen zurückgreifen, die einem Clement vielleicht nicht zur Verfügung standen. Die Gesellschaft weiß das mittlerweile zu schätzen.
Von Löhrmann stammt die Selbsteinschätzung, dass sie „Frau sein und trotzdem führen kann. Ist das neu?
Ja. Unsere früheren Untersuchungen haben gezeigt, dass die Frauen in der Regel nur erfolgreich waren, wenn sie ihr Geschlecht neutralisiert haben. Frau Merkel ist das klassischen Beispiel dafür. Jetzt konnte Kraft sogar die Tatsache, dass sie Mutter ist, für sich verwenden.
„Wir machen aus Sachfragen keine Machtfragen“, sagt Löhrmann auch. Eigentlich wirft man das den Frauen doch immer vor: Sie machen nur Sacharbeit und wundern sich dann, dass die Machtmenschen an ihnen vorbeiziehen.
Sylvia Löhrmann kann dieses Prinzip anwenden, weil sie das nicht naiv tut, sondern in Machtfragen mit allen Wassern gewaschen ist. Sie erkennt die Machtfrage hinter der Sachfrage und kann das trennen. Und man muss die Machtfrage erst mal knacken, bevor man auf die Sachfrage kommt.
Das kann man aber nur machen, wenn das Gegenüber Kraft heißt und nicht etwa Clement, oder?
Ja, die beiden sind eben ein gutes Tandem und widerlegen damit, by the way, das Klischee vom Zickenkrieg.
Kraft sprach auch mal ganz selbstverständlich davon, dass Frauen öfter mal emotional angegriffen werden. Das müsse man eben kontern.
Sie kann so etwas thematisieren, ohne in der Opferrolle zu verschwinden. Das ist noch nicht selbstverständlich, aber da muss es hingehen. Man kann diese unterschiedliche Behandlung von Frauen in der Politik nicht leugnen, wie das oft noch getan wird. Aber man kann kompetent damit umgehen.
Frau Kraft als erfolgreiche Ministerpräsidentin wird nur zögerlich als Kanzlerkandidatin gehandelt. Wieso eigentlich?
Gegen diese drei Männer in der SPD kommt sie im Moment noch nicht an. Aber wenn sie eine stabile Mehrheit in NRW hinbekommt, sieht die Sache schon anders aus. Sie kann sich also noch Zeit lassen.
Kann die SPD mit drei Kraftmeiern an der Spitze sich eine weibliche Kandidatin überhaupt vorstellen?
Man könnte den Verdacht hegen, dass sie das nicht kann. Aber die Zeiten ändern sich, auch in der SPD.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel