die Wahrheit: Marmageddon
Neues aus Neuseeland: 60.000 Menschen pilgerten in den letzten Wochen zu den Resten von Christchurchs Kathedrale, die nun endgültig abgerissen werden soll.
0.000 Menschen pilgerten in den letzten Wochen zu den Resten von Christchurchs Kathedrale, die nun endgültig abgerissen werden soll. Das ist für Neuseeland ungefähr so, als wenn das Rheinland den Kölner Dom verlöre. Der Zauberer von Christchurch protestiert seitdem öffentlich, damit zumindest die Ruine stehen bleibt. Der „Wizard“ war so etwas wie das Maskottchen der Stadt – ein erzkonservativer Wüterich, der sich gern vor der Kathedrale über moderne Unsitten und Frauen aufregte. Dass ihn das Erdbeben vorübergehend zum Schweigen brachte, kann man als gnädigen Akt der Natur werten.
Was der Zauselbart am vorigen Wochenende noch nicht wusste, sonst hätte er sich vielleicht noch bei lebendigem Leibe verbrannt: Wir verlieren nicht nur unser Gotteshaus. Auch das Marmite wird knapp. Schlimmer kann es ein Katastrophengebiet kaum noch treffen.
Marmite, auch als tar in the jar („Teer im Glas“) bezeichnet, ist das Kraftfutter der Angelsachsen: Ein salziger, schmierölähnlicher Brotaufstrich aus Bierhefe, einst von einem Deutschen namens Justus von Liebig entdeckt und für die kulinarisch eher unterverwöhnte Nation so unersetzlich, dass man ihn sogar den Soldaten im Zweiten Weltkrieg in ihren Proviant steckte. Voller toller B-Vitamine, angeblich gesund und scheußlich lecker. „Love it or hate it“ hieß mal eine bekannte Marmite-Werbung. Längst gibt es Kopien.
Seit der Entdeckung des Südpazifiks tobt in Australien und Neuseeland der Krieg um die Hefepastenhoheit. Drüben beim Erzfeind am anderen Ufer der Tasmanischen See wird das ähnlich tranige Vegemite hergestellt. Kein Vergleich, natürlich. Denn das neuseeländische Marmite, das in der gesamten Südsee verkauft wird, kommt längst nicht mehr aus England, sondern seit 100 Jahren aus einer Fabrik in Christchurch. Und die ist, wie die trauernde Bevölkerung gerade erfuhr, ebenfalls angeknackst. Der Kühlturm muss repariert oder abgerissen werden.
640 Tonnen Schmiere wurden hier pro Jahr herausgequetscht, doch jetzt ist erst mal bis Juli Schluss. Die Bestände werden knapp, die Supermärkte haben ihre letzten Lieferungen erhalten, und der Manager der Herstellerfirma appellierte ans Volk, keine Hamsterkäufe zu tätigen. Angesichts dieser Notlage meldete sich der Premierminister zu Wort: Auch er habe nur noch einen knappen Vorrat im Büro. Marmageddon!
In einem „New World“-Supermarkt mitten in der Krisenzone verschwanden bereits die letzten gelbroten Marmite-Gläser aus dem Regal. Supermarkt-Chef Phillip Blackburn riet, die Reste daheim möglichst auf Toast zu essen, denn durch die Wärme ließe sich die Paste dünner verstreichen. Eine Kundin prophezeite Probleme: „Meine siebenjährige Tochter wird ausrasten. Sie isst mittags immer Marmite auf Knäckebrot.“
Auch die Stimmung der zweifachen Mutter war kurz vor dem Umkippen. „Es wird hässliche Szenen geben. Aber zum Glück habe ich daheim noch Sauvignon Blanc.“ Entwarnung an alle, die jetzt Care-Pakete schicken wollen: Unsere Weingüter stehen alle noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Zeitplan der US-Wahlen
Wer gewinnt denn nun? Und wann weiß man das?