Piraten und das Grundeinkommen: Unterm Strich weniger als Hartz IV
440 Euro* soll der Staat allen Bürgern als Bedingungsloses Grundeinkommen zahlen. Das fordert eine Arbeitsgruppe der Piraten.
BERLIN taz | 440 Euro* monatlich, ohne Prüfung, ohne Kontrolle – mit diesem Vorschlag für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) wollen die „Sozialpiraten“, eine Arbeitsgruppe der Piratenpartei, in den Bundestagswahlkampf 2013 einsteigen. Das BGE soll auch bekommen, wer arbeitet – ohne Abschläge. Bedürftigen wollen die Sozialpiraten einen Mietzuschuss auszahlen lassen. Das Modell soll die als Hartz IV bekannte existierende Grundsicherung ablösen.
Bislang fordert die Piratenpartei zwar ein BGE, hat sich aber noch nicht für ein konkretes Modell entschieden. Das wollen die Sozialpiraten mit ihrem Vorstoß ändern. Dabei bewegen sie sich deutlich unter dem Niveau anderer BGE-Modelle. Dieter Althaus etwa, Ex-CDU-Ministerpräsident von Thüringen, schlägt 600 Euro* monatlich vor, die „Bürgerinitiative Grundeinkommen Berlin“ hält 1.000 Euro für angemessen.
„Wir wollen kein Grundeinkommen auf Pump“, sagt Simon Stützer, ein Mitglied der Arbeitsgruppe. Stattdessen sollen Steuern das Geld bringen. Die Sozialpiraten denken an einen einheitlichen Einkommensteuersatz von 45 Prozent, die Mehrwertsteuer soll auf 20 Prozent steigen – einheitlich für alle Güter. Der Freibetrag wird durch das Grundeinkommen ersetzt, besteuert werden soll nur das zusätzlich zum BGE verdiente Einkommen. Da das BGE bei niedrigen Einkommen stärker ins Gewicht fällt, würden Menschen mit geringem Einkommen nach diesem Modell prozentual weniger Steuern zahlen als Reiche.
Mittlere Einkommen würden faktisch teils höher besteuert. Ganz zufrieden sind die Sozialpiraten mit ihrem Modell selbst noch nicht. Man suche noch nach „weiteren Finanzierungsquellen“, um ein höheres Grundeinkommen zahlen zu können, sagt Stützer.
Ronald Blaschke, der sich beim Netzwerk Grundeinkommen schon länger mit dem Thema beschäftigt, hält von dem Piraten-Vorschlag gleichwohl nichts: „440 Euro Transferleistungen – das unterschreitet teils sogar das jetzige Hartz-IV-Niveau“, sagt er. Da es dazu nur noch einen „Zuschuss“ für die Wohnkosten gäbe, nicht aber die tatsächliche Miete Bedürftiger vom Staat bezahlt würde, sei der Vorschlag „nicht existenz- und teilhabesichernd“. Damit verstoße er sogar gegen die Beschlusslage der Piratenpartei selbst. Blaschke verweist darauf, dass die Armutsgrenze in Deutschland je nach Definition zwischen 940 und 1.000 Euro liegt – also weit über dem, was die Sozialpiraten als Grundsicherung zahlen wollen. Ein BGE auf diesem Niveau würde zu einer „staatlichen Subvention des Niedriglohnsektors führen“, glaubt Blaschke. „Das würde die soziale Situation in Deutschland verschlechtern.“
Der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände hält ein Grundeinkommen für per se „nicht finanzierbar“. Sozialpirat Simon Stützer glaubt, dass es einen anderen Grund für die Skepsis gibt: Mit einem Grundeinkommen bekämen Arbeitnehmer eine stärkere Verhandlungsposition und müssten nicht jede prekäre Beschäftigung annehmen.
*Anmerkung der Redaktion: Zu den im Text genannten mit Sternchen markierten Tatsachen gibt es von Johannes Ponader, Mitglied der Piratenpartei, eine Klarstellung, nachzulesen in den unter dem Artikel stehenden Kommentaren und auf dem Blog der Sozialpiraten.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Ronald Blaschke als "Sprecher des Netzwerks Grundeinkommen" zitiert. Er hat sich jedoch gegenüber der taz nicht in dieser Funktion geäußert, sondern seine individuelle Meinung kundgetan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“