Kochen für Stubenhocker

INTERNET-ESSEN Wer keine Lust auf Einkaufen hat und trotzdem abends an den Herd will, lässt sich Zutaten einfach nach Hause bringen – im Paket mit einem passenden Rezept. Die Nachfrage nach Online-Lieferdiensten boomt

■ Derzeit gibt es in Berlin vier Online-Lieferdienste für Zutatenpakete plus die passenden Rezepte dazu: Hello Fresh, Unsere Schlemmertüte, Kochzauber und Kochhaus. Letzteres Angebot funktioniert nicht nur online, sondern auch analog in zwei begehbaren Filialen im Schöneberger Akazienkiez und am U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg.

■ Die Idee stammt aus Skandinavien: 2007 starteten in Schweden die Start-ups Middagsfrid (Abendessenfriede) und Linas Matkasse (Linas Einkaufstüte) einen Online-Lieferservice für Zutatenpakete. Als deutsches „Original“ für passgenau geordertes Essen im Internet bezeichnet sich die Hamburger Firma KommtEssen, ein Tochterunternehmen von Middagsfrid, die seit 2010 bundesweit „Kochboxen“ ausliefert.

■ Preise: Das billigste Paket (drei Gerichte für zwei Personen) liegt je nach Anbieter zwischen 34 Euro (Kochhaus) und 49 Euro (Schlemmertüte, bis zu drei Personen). Bei Hello Fresh gibt es zwei feste Liefertage pro Woche, bei Kochhaus und Unsere Schlemmertüte sind die Termine flexibel. (akl)

VON ANNA KLÖPPER

Peter Cliffords Kunden wissen noch nicht, dass sie in zwei Wochen Winterrisotto essen werden – mit Orange, Pecorino und Endiviensalat. Aber Clifford, Geschäftsführer des Online-Lieferdienstes „Unsere Schlemmertüte“, weiß es. Jeden Donnerstag steht er in der Küche seines Altbaubüros in einem Hinterhaus in Prenzlauer Berg und kocht mit seinem siebenköpfigen Team ein neues Rezept nach, das seine beiden Köche ihm vorschlagen. Schmeckt dann das Risotto, werden die Zutaten – grammgenau abgewogen und mit einer präzisen Kochanleitung samt Foto versehen – 14 Tage später per Kühlbox vor die Haustüren von Kunden in Berlin, Hamburg oder München geliefert. Oder nach Wuppertal und Castrop-Rauxel. Denn das Internet ist schließlich überall.

Seit etwa zwei Jahren lässt sich für junge Start-ups wie die im Januar 2012 gegründete „Schlemmertüte“ Geld auf einem Markt verdienen, der in Deutschland bisher, anders etwa als in Großbritannien oder Frankreich, als schwierig galt: dem Online-Handel mit Lebensmitteln. Dabei erscheint die Idee, seine Milchtüten, das Brot oder eben gleich ein komplettes Winterrisotto plus Kochanleitung im Internet zu bestellen, eigentlich nur als der nächste logische Schritt. Schließlich haben sich viele längst daran gewöhnt, sonst alles – von Büchern über Bettwäsche bis zu Socken und Unterwäsche – über das Netz zu beziehen.

Mühsame Biokiste

Doch noch vor zwei Jahren, ermittelten Marktforscher, machte der Handel mit Lebensmitteln im Netz nur etwa 1 Prozent des gesamten deutschen Online-Markts aus. In Großbritannien waren es 2010 dagegen rund 19 Prozent. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa hat sich die Zahl der Deutschen, die Lebensmittel im Netz ordern, zwischen 2009 und 2011 allerdings auf 9 Prozent verdreifacht – auf 4,5 Millionen aller deutschen Internetnutzer insgesamt.

Ein paar Straßenbahnstationen von Peter Cliffords Versuchsküche entfernt sitzt Dominik Richter im hellen Loft einer Büroetage und schaut über den Hackeschen Markt. „Alle zwei Monate verdoppeln wir unseren Umsatz“, sagt er nüchtern. Richter ist Co-Geschäftsführer bei „Hello Fresh“, einem weiteren Online-Lieferservice für programmierte Zutatenpakete und wie die „Schlemmertüte“ seit Januar 2012 auf dem Markt. Steak mit Rosmarinkartoffeln, Wok-Hähnchen und mexikanische Rindfleisch-Tacos, so liest sich etwa eine Menüfolge, deren Zutaten die Kunden dann aus den Kühlboxen packen können. Die Pakete gibt es für drei oder fünf Mahlzeiten und entweder für zwei oder für vier Personen. „Eine sehr hohe vierstellige Zahl, Tendenz steigend“, liefere seine Firma jede Woche davon bundesweit aus, sagt Richter.

Was offenbar besonders gut funktioniert, wenn man Lebensmittel im Netz loswerden will: dass man den Kunden gleich den virtuellen Einkaufskorb aus der Hand nimmt und damit auch die Entscheidung darüber, ob man aus dem Hackfleisch nun Buletten oder Bolognese oder mal was ganz anderes macht. Gekocht wird, was der Anbieter will.

Was doch zu der Frage führt: Warum lässt man sich bei der Abendessenplanung so bereitwillig entmündigen? „Wir liefern Inspiration, Ideen“, sagt Peter Clifford, dessen „Schlemmertüte“ sich vor allem an Familien richten will, „die den Kindern nicht schon wieder Pasta kochen wollen.“ Und Dominik Richter, dessen Lieferdienst mittlerweile gut 13.000 Facebook-Fans hat und der neben Familien auch „junge, ausprobierfreudige Pärchen“ im Visier hat, sieht es so: „Wir liefern Komfort.“

Wer also die Biokiste vom Brandenburger Bauern zwar als romantisch, aber auch mühsam, den Pizzaservice als zu unaufgeklärt und die Dr.-Oetker-Backmischung als zu bieder betrachtet, bestellt sich eben die „Nordafrikanische Verführung“ (Couscous, Hähnchen, Gemüse) als D.I.Y.-Erlebnis bequem per DHL.

Warum lässt man sich bei der Abendessenplanung so bereitwillig entmündigen?

Zweigleisig fährt man beim „Kochhaus“, bei dem man Risotto, Pasta und Curry als Zutatenpakete nicht nur im Netz bestellen kann, sondern auch noch sozusagen analog selbst einkaufen – in den beiden Berliner Kochhaus-Filialen in Schöneberg und Prenzlauer Berg. Ein Jahr nach der Eröffnung des ersten Ladens in Schöneberg habe man das Online-Abo eingeführt, sagt Florian Büttner, der die Abteilung Lieferservice und Abo leitet – und innerhalb eines Jahres den Umsatz in diesem Bereich um das 20-Fache gesteigert. Der Verkauf in den Filialen, von denen es noch vier weitere in Hamburg sowie eine gerade neu eröffnete in Frankfurt/Main gibt, bliebe dennoch das Kerngeschäft, sagt Geschäftsführer Ramin Goo.

In diesen Läden sind die Waren nicht wie sonst im Supermarkt nach Fleisch, Käse, Obst sortiert, sondern – wie eben auch im Internet – nach Gerichten: am Eingang die Vorspeisen („Feine Kichererbsensuppe mit Fenchel und Safran“), dann die Hauptgerichte („Rinderfilet auf Rotweinspinat mit Gorgonzola-Kartoffelgratin“), hinten der Nachtisch. Dazwischen gibt es Regale mit Gewürzen, Wein, teurer Schokolade und eine Espressobar. Im Gegensatz zur Online-Konkurrenz stehe bei „Kochhaus“ dann auch weniger eine fürsorgliche Übernahme der täglichen Essensplanung oder schlichtes Sattmachen von Kindern als vielmehr Exklusivität im Vordergrund, sagt Büttner.

„Na ja“, sagt dagegen Kochhaus-Kunde Alexander Herbst, „wenn ich was wirklich Besonderes will, gehe ich essen.“ Aber es sei eben praktisch und sinnvoll, dass man bei den genau bemessenen Zutaten hinterher nichts wegschmeißen müsse. Dazu die Lebenshilfe: „Ich habe es neulich tatsächlich geschafft, mein erstes genießbares Risotto zu kochen.“

Weniger Lebensmittel wegschmeißen, möglichst viel regional und saisonal, bio sowieso: einen grünen Anstrich geben sich alle drei Berliner Lieferdienste. Aus einer Münchner Perspektive dürfte es für die Ökobilanz allerdings allemal vorteilhafter sein, dort im nächsten Supermarkt sein Hackfleisch zu kaufen, als sich das Bioschwein aufwendig verpackt in Kühlboxen aus Berlin anfahren zu lassen – wie es etwa „Hello Fresh“ macht, die ausschließlich von Berlin aus verschicken. Die „Schlemmertüte“ hat immerhin auch regionale Packstationen und Kooperationen mit Zulieferern, das „Kochhaus“ liefert ohnehin vor allem in den Stadtgebieten von Berlin und Hamburg aus, wo sich auch die Ladengeschäfte befinden.