Laufsteg-Trainer über Staatsbürgerschaft: "Klar, dass ich nicht zurückgehe"
Jorge Gonzalez hat Kuba wegen seiner Homosexualität verlassen. Inzwischen ist er Laufstegtrainer bei Heidi Klums Castingshow "Germanys next Topmodel.
taz: Herr Gonzalez, warum haben Sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen?
Jorge Gonzalez: Wahrscheinlich können Sie sich als Deutsche gar nicht vorstellen, wie wertvoll dieses Stück Papier ist. Wenn man als Kubaner in die USA reisen will oder nach London, muss man Botschaftstermine machen, um ein Visum zu beantragen. Und dann wartet man drei bis vier Monate auf die Dokumente. Dann kommt man nach Amerika und am Flughafen wird man stundenlang befragt. Genau dieses Prozedere mache ich seit 15 Jahren mit. Auch wenn ich alles Bürokratische richtig gemacht habe, könnte ich ja ein „Terrorist“ sein – weil ich aus einem sozialistischen Land komme.
Das klingt nicht so, als seien Sie ein Fan Ihrer Heimat.
Doch, ich liebe meine Heimat sehr! Trotzdem war es schon als Kind mein Ziel, Kuba zu verlassen. Einer der Gründe dafür war, dass ich sehr früh entdeckt habe, dass ich homosexuell bin. Das war in Kuba ein Tabu. Als bekennender Homosexueller hätte man in Kuba keine Chance auf ein Studium oder eine Ausbildung gehabt. Man wurde damals noch schikaniert.
Aber kam man denn so einfach weg?
Als ich fünf war, da wollte ich zur Ballettschule, aber mein Vater war dagegen. Da war mir klar, dass ich einen anderen Weg gehen muss. Das ging nur mit einem guten Studium. Es gab damals ein Stipendien-Programm, mit dem Kubaner in anderen sozialistischen Ländern studieren konnten. Also habe ich gelernt wie ein Wahnsinniger, um dieses Stipendium zu bekommen.
Warum sind Sie dann ausgerechnet nach Bratislava gegangen?
44, ist Laufstegtrainer bei "Germany's next Topmodel". Er lebt mit seinem Freund in Hamburg und hat im März seine dritte Kollektion "Chicas Walk presented by bonprix" präsentiert. Er besitzt mehr als 300 Paar Schuhe.
Ich wollte immer nach Europa, und die Tschechoslowakei hatte mich interessiert. Meinen Studiengang durfte ich nicht selbst wählen, sondern nur Wünsche äußern. Man hat mir also angeboten, Nuklear-Ökologie zu studieren. Das Fach war damals neu und ich fand es spannend. Das Studium gab es im sozialistischen Block wiederum nur in Bratislava.
Und war es dort wirklich so anders, wie Sie sich das erhofft hatten?
Die ersten zwei Jahre an der Uni fielen mir sehr leicht und haben sich eher angefühlt wie eine Party. Wir Kubaner waren gut ausgebildet, für uns war es erst ab dem Hauptstudium schwierig – na gut, die Sprache musste ich lernen. Aber ich habe mir Mühe gegeben und 1991 meinen Magister gemacht, ein Jahr später als geplant.
Warum? Waren Sie nicht mehr so fleißig?
Im November 1989 war die Samtene Revolution und ich war involviert. Ich habe während meines Studiums ein wenig gemodelt, ich habe getanzt und Theater gespielt. Daher kannte ich viele Leute von der Theaterhochschule, von der aus die Revolution in der Slowakei begonnen hat. Und nach der Revolution sagte die kubanische Regierung, das slowakische Volk, das sind nicht mehr unsere Freunde, und die kubanischen Studenten sollen zurück. Aber für mich war klar, dass ich nicht zurückgehe.
Was war Ihr Ausweg?
Einer der ersten Konzerne, die nach der Revolution in die Slowakei kamen, war Coca Cola. Sie wollten den ersten Werbespot überhaupt in der Republik drehen. Es ging um einen Saft und dazu suchten sie ein Paar, das Lambada tanzen kann. Da gab es nicht viele. Es war ausgemacht, dass der Spot erst im Sommer 1990 erscheint. Okay, habe ich gedacht, im Sommer sind die Kubaner weg, ich kassiere bei Coca Cola und bleibe.
Hat das geklappt?
Als ich an Weihnachten aus dem Urlaub zurückkam, hatten schon alle den Spot gesehen. Es gab damals nur zwei Kanäle und darauf lief im 30-Minuten-Takt Jorge, Lambada tanzend. Dann sind Abgeordnete und der Konsul der kubanischen Regierung zu meiner Universität gekommen und haben mir erklärt: „Du hast einen Spot für den größten Feind gedreht und du hast hier auch gearbeitet und du weißt, dass du das nicht darfst.“ Also sollte ich, ohne mein Studium zu beenden, zurück. Das war am Mittwoch und schon Freitag sollte ich nach Kuba fliegen.
Sind Sie aber nicht.
Nein. Zum Glück hatte ich Freunde. Die Revolution war ja von der Uni ausgegangen und ich bin zum Unidirektor gegangen und die Uni hat mir für die letzten drei Monate meines Studiums ein Stipendium gegeben. Mit diesem Stipendium bin ich dann zur neuen Regierung der Slowakei gegangen und die haben mir politisches Asyl gegeben.
Von da an hatten Sie nichts mehr zu befürchten?
Als ich von der Besprechung mit der slowakischen Regierung kam, haben mehr als 100 Freunde draußen gewartet, um zu verhindern, dass mich jemand gegen meinen Willen mitnimmt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich angefangen, mich zu verstecken. Die kubanische Regierung hat mich gesucht und ich habe fast drei Monate in unterschiedlichen Wohnungen gewohnt.
Hatte das auch Konsequenzen für Ihre Familie in Kuba?
Für meine Familie war das sehr schwierig. Man hatte mir verboten, nach Kuba zu reisen. Das dauerte acht Jahre lang. Und in den ersten zwei Jahren wusste meine Familie nicht mal, ob ich lebe. Wie in den anderen sozialistischen Ländern war die Kommunikation kontrolliert. Anrufen war unmöglich und auch Briefe wurden abgefangen. Dass ich noch lebe, haben sie durch ein Magazin erfahren. Ich war damals viel in Prag unterwegs und dort in der Yellow Press bekannt. Und einmal war meine Tante in Kuba am Strand und sah eine junge Frau. Die blätterte in einem Magazin und darin war ein Foto von mir. Meine Tante hat meine Mutter angerufen und gesagt: Er lebt und er ist in Prag.
Warum sind Sie nicht in Prag geblieben?
Mit der Zeit hat mich Prag gelangweilt. Außerdem wollte ich verstehen, wie kapitalistische Länder funktionieren. Ich wollte wissen, wie das System ist, vor dem ich als Kind immer gewarnt wurde. Und dann bin ich gereist, ich war in Rom, London und Spanien, aber Deutschland hat mir am besten gefallen.
Wegen des Kapitalismus?
Ich hatte mir Deutschland angeschaut und analysiert, wie die Leute sind und was ich hier lernen kann, und natürlich hatte ich im Kopf die Klischees, dass die Deutschen immer groß sind, blond, blaue Augen haben. Damals genau mein Typ. Und ich war immer begeistert von der Toleranz in Deutschland.
Ist die Toleranz hier so herausragend?
Ich war schon immer extravagant, ich hatte zum Beispiel einen pinken Anzug und damit war ich draußen. In Kuba hätten die Leute was gesagt. Hier wurde geguckt, toleriert und dann freundlich gegrüßt.
Sind Sie wegen Ihres extravaganten Styles zu „Germany‘s next Topmodel“ gekommen?
Nein, das war ein Zufall, ein Bekannter von mir, ein Designer, wurde für die Jury gecastet. Aber er ist nicht genommen worden. Und dann habe ich denen Fotos und meine Bio geschickt und sie haben mich sofort zum Casting bestellt. Also war ich in München und sie fragten: Kannst du auch in Highheels laufen? Und dann bin ich gelaufen und sie haben ein Video gemacht, das an Heidi geschickt und Heidi hat entschieden, dass sie mich haben will.
Haben Sie es jemals bereut, dass Sie nicht als Nuklear-Ökologe arbeiten?
Überhaupt nicht. Ich genieße das, was ich tue, sehr. Und ich brauche immer neue Herausforderungen, ich brauche Bewegung, ich will neue Sachen entdecken. Deswegen ist das toll, ich bin Choreograf, Catwalktrainer, Stylist, Designer, Model. Gerade habe ich als Schauspieler gearbeitet, das macht unglaublich Spaß, weil ich auch was lernen kann.
Aber Luxus ist Ihnen schon wichtig?
Der schönste Luxus in meinem Leben war, dass ich später für meine Eltern da sein konnte. Meine Mutter hatte Krebs und ich bin nach Kuba gegangen und habe sie gepflegt und sie ist in meinen Armen gestorben. Und bevor sie starb, haben meine Eltern mir gedankt, dass ich da war. Mehr brauche ich nicht. Meine Eltern haben so viel schlechtes Gerede über mich abbekommen wegen meiner Homosexualität, aber sie haben immer zu mir gesagt, es ist wunderbar, dass du bist wie du bist. Mehr Luxus gibt es nicht. Und ein paar Monate nach dem Tod meiner Mutter habe ich dann bei Topmodel angefangen, da war es wieder Zeit, weiterzugehen.
Sie sind jetzt schon seit drei Staffeln bei der Sendung dabei. Macht es noch Spaß?
Ja, sehr. Und so lange Heidi will, dass ich es mache, mache ich es noch. Ich kann dabei helfen, den jungen 16- bis 17-jährigen Mädels ein Gefühl für ihren Körper zu geben. Die sind manchmal schüchtern und verklemmt, weil ihnen mal jemand gesagt hat, sie seien nicht hübsch. Und dann verstecken sie ihren Körper. Für mich sind Models spannend, wenn sie neben traumhaften Maßen Ausstrahlung und Körpergefühl haben. In Kuba gibt es Frauen, die mit über 100 Kilo selbstbewusst und stolz durchs Leben gehen – auch das sind wunderschöne Frauen, weil sie eine wunderschöne Ausstrahlung haben. Deswegen versuche ich auch, den Mädels nicht nur für den Catwalk etwas beizubringen. Ich sage ihnen immer, wie du auf dem Catwalk gehst, so gehst du durch dein Leben.
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