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Die WahrheitWahnsinn und Terror

Was Lärm ist und was nicht, das hängt nicht notwendig von der Schallintensität ab. Die neuen aktuellen Gerichtsurteile zum Lärmschutz.

Ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher brachte einen Familienvater um den Verstand. Bild: dapd

Was Lärm ist und was nicht, das hängt nicht notwendig von der Schallintensität ab. Mit Erfolg klagte deshalb eine Frau aus Aschaffenburg gegen ihren Vermieter, der in der Nachbarwohnung einen 32-jährigen Systemadministrator hatte einziehen lassen. Dieser war Cosplayer, Mitglied der Piratenpartei und fünf Tonnen schwer. Den täglichen Anblick des Geschöpfs werteten die Richter als besonders schweren Augenlärm und außerordentlichen Kündigungsgrund. Die Mieterin müsse das Risiko, einen Sehsturz oder einen optischen Tinnitus zu erleiden, nicht hinnehmen.

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Nach Obdachlosen und Cracknutten sind spielende Kinder auf der Straße Ärgernis Nummer eins für leidgeprüfte Mieter. Neueren Studien zufolge stammen die meisten dieser Kinder aus Osteuropa. Von kriminellen Banden nach Deutschland geschleust, werden sie hier zum Spielen auf die Straße geschickt, um die Grundstückspreise zu senken und unsere Lebensqualität zu ruinieren. Der Notwehrparagraf gilt jedoch auch hier, urteilte der Kassationsgerichtshof Duisburg. Demnach kann ein Mieter das lauteste Kind einer Gruppe mitnehmen und bei sich zu Hause so lange verprügeln, bis die anderen leise sind. Die Eltern müssen die Arztkosten aus eigener Tasche zahlen und ein neues, stilleres Kind zeugen.

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Gerade in Altbauten kommt es immer wieder zu diesem Phänomen: rätselhafte, echogleiche Stimmen, die scheinbar aus der eigenen Wohnung kommen. Die Fachwelt spricht dabei von sogenannten Gedanken. Sie können auftreten, wenn der Mieter mit Außenreizen oder Ereignissen konfrontiert wird. Der Mieter muss Gedanken in der Wohnung aber nicht dulden, wenn er zuvor keine hatte, so das Amtsgericht Offenbach. Leichte Gedanken berechtigen zu einer Mietminderung von 10 Prozent.

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Ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher brachte einen Familienvater aus Alpirsbach nach und nach um den Verstand. Als der Verstand komplett aufgebraucht war, zog der Mann vor das Landgericht Karlsruhe. Das urteilte salomonisch: Es reiche nicht aus, dass der Vermieter ein sogenanntes Etagenschrotgewehr anschaffe, die Anschaffungskosten aber auf die Mieter umlege. Vielmehr seien es die Vögel, die er umzulegen habe. Die zwitschervergrämenden Schrotsalven müssen dabei lärmneutral abgefeuert und die Kugeln wieder eingesammelt werden, und zwar werktags zwischen 10 und 12 Uhr, heute jedoch nicht.

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Durch den Ton seines eigenen Herzschlags gestört fühlte sich ein Mieter aus Hamburg. Beim Einzug habe ihm der Vermieter verschwiegen, dass die extreme Ruhe der Nachbarschaft die Geräusche der eigenen Vitalfunktionen stark akzentuiere. Das Landgericht Hamburg gab dem Mieter recht; der Vermieter muss nun die Herzextraktion bezahlen und zwei Jahre in Haft.

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Schimmel in der Wohnung strapaziert nicht nur die Atemwege, sondern auch das Trommelfell. Singschimmel, Paukenschwämme und Schwatzsporen können ein gemütlich versifftes Badezimmer in einen Ort des Grauens verwandeln, in dem keine normale Unterhaltung mehr möglich ist. Der Vermieter ist zunächst in der Pflicht, beruhigend auf den Schimmel einzusprechen oder ihn mit einem Fernseher abzulenken. Notfalls muss er das Badezimmer komplett entfernen und in einer nahe gelegenen Bäderwelt renaturieren.

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Erleichterung für Fluglärmopfer! Ein Urteil des Amtsgerichts Frankfurt berechtigt die Betroffenen zu monatelanger Medienpräsenz, rührseligen Homestorys und unwürdigem Geflenne vor laufender Kamera – direkter Ausdruck der grundgesetzlich geschützten Idiotenfreiheit. Wer dumm genug ist, in Flugplatznähe ein Haus zu kaufen, so der Richter, der darf auch zweimal die Woche schreiend und stark alkoholisiert durchs Terminal wanken und Flyer voller Rechtschreibfehler arglosen Fluggästen in die Jackentasche pfriemeln.

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Völlige Lärmlosigkeit kann krank machen! Ein Mann aus Bad Abbach hoffte seit Jahren auf einen erlösenden Auspuffknall oder pöbelnde Ausländer, doch die mörderische Idylle zeigte kein Erbarmen. Der ständig wachsende Beschwerdedrang bei völliger Monotonie des Alltagslebens führten zu einem permanenten Frustrationserlebnis, das schließlich in einem lebensbedrohlichen Boreout endete. Der Mieter arbeitet nun als Tontechniker für Christiane Rösinger und hat endlich Grund zu klagen; der Vermieter muss sich zur Strafe alle Auftritte ansehen.

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3 Kommentare

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  • H
    HCL

    Meine Güte meine Güte,

    was für ne Zeitschrift bietet auf gleicher Seite Artikel und Kommentar in einer Höhe! Na die hier. Na, zum seltsamen Wert der vielleicht sich vollziehenden Nachdenklichkeit. Was bedeutet, daß ich Herrn Fischer mal recht geben muß: Es ist echt ungehörig, wenn man so ne Landebahn in eine Ortschaft reinbaut, dass dort auch noch Leute wohnen. Was ham Leute in einer Ortschaft verloren? In einem deutschen Dorf brauchen wir Lokalkolorit für die japanischen Touristen. Abends wird die Bevölkerung abgebaut, und mitsamt deinem Laber-CO-2 in tiefere Erdschichten verpresst. Kein Wunder, dass die Deutschen immer weniger werden, sind alle dem Frankfurter Flughafen zum Opfer gefallen! Alle tot! Herrjeh.

  • T
    Timocracy

    Der einzige "Lärm", der konsequent bekämpft wird, ist der Barden Klagelied. Wer sich hingegen einen Laubbläser o.ä. anschafft, unterstützt die Konjunktur und stellt dabei sicher, dass die gesamte Nachbarschaft erfahren darf, welch fleissiger Mensch dort wohnt...

  • H
    heute

    Das heißt nicht optischer Tinnitus sondern objektiver Tinnitus und bedeutet das ihn auch andere hören können.