Chef der Freiheitlichen in Kärnten nimmt sich frei

ÖSTERREICH Kurt Scheuch tritt nach Debakel bei Wahlen zurück. Grüne verdoppeln Stimmenanteil

Der Sozialdemokrat Peter Kaiser kann sich aussuchen, mit wem er regieren will

AUS WIEN RALF LEONHARD

Noch nie ist in Österreich eine regierende Partei so radikal abgestraft worden, wie die Freiheitlichen in Kärnten (FPK). Bei den Landtagswahlen am Sonntag stürzten sie von fast 45 Prozent im Jahr 2009 auf nur mehr 17,1 Prozent ab. Den Posten des Landeshauptmanns muss Gerhard Dörfler an den Sozialdemokraten Peter Kaiser abgeben, der die SPÖ von 28 auf über 37 Prozent katapultieren konnte.

Kaiser kann sich aussuchen, mit wem er regieren will. In ersten Stellungnahmen ließ er eine Präferenz für eine Dreierkoalition mit ÖVP und Grünen erkennen. Das wäre ein Präzedenzfall, der eventuell nach erwartbaren Verlusten der Regierungsparteien bei den Nationalratswahlen im September auch für den Bund zur Option werden könnte.

Außer den Freiheitlichen gab es fast nur Sieger. Die Grünen, deren Frontmann Rolf Holub die Aufdeckung zahlreicher Korruptionsfälle zu verdanken ist, konnten mit fast 12 Prozent ihr vorheriges Ergebnis mehr als verdoppeln. Die ÖVP, deren langjähriger Chef Josef Martinz letzten Sommer in einem Parteispendenprozess zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, konnte sich nach personeller Erneuerung über Schadensbegrenzung freuen. Sie kam auf 14,2 Prozent (minus 2,6 Prozent). Überlebt hat auch das längst als aussterbende Spezies gehandelte BZÖ, das mit einem Haider-Nostalgie-Wahlkampf 6,5 Prozent und zwei Mandate im 36-sitzigen Landrat erhielt. Bemerkenswert ist das sensationelle Abschneiden des Teams Stronach, das dank unerschöpflicher Mittel und messianischer Botschaften des Milliardärs Frank Stronach 11,3 Prozent einfuhr und sogar in die Landesregierung einzieht.

Die Landesregierung besteht aus sieben Posten, die proportional dem Wahlergebnis gemäß verteilt werden. Das führt dazu, dass in der Regel auch die Opposition in der Regierung sitzt und dadurch kaum konsequente Oppositionspolitik machen kann. Dieses oft kritisierte System will Kaiser so schnell wie möglich abschaffen. Außerdem steht die Bekämpfung des „Triple A“ auf der Agenda: „Arbeitslosigkeit, Armutsfalle und Abwanderung“.

Das markiert eine klare Trendwende gegenüber der von Jörg Haider eingeführten Eventkultur plus in landesfürstlicher Manier vergebener Goodies wie Zuschüsse für den Ankauf eines Kärntner Anzugs. FPK-Chef Kurt Scheuch, der anfangs nicht an Rücktritt denken wollte, wurde offenbar von seinen Parteifreunden eines Besseren belehrt. Vor dem Parteivorstand am Montag erklärte er seinen Rückzug.

Nachfolger wird mit Christian Ragger ein Vertrauensmann von FPÖ-Chef Heinz Christian Strache. Er gestand in einer ersten Stellungnahme ein, dass das viel krasser als erwartet ausgefallene Debakel der „Disziplinlosigkeit, Maßlosigkeit und Überheblichkeit der Partei“ zuzuschreiben sei.

Strache, der die erste Niederlage wegstecken musste, seit er 2005 die FPÖ übernahm, kündigte an, dass er demnächst die FPK, die der Mutterpartei in einem CDU-CSU-Verhältnis verbunden ist, in die FPÖ eingliedern wolle. Für die FPÖ ist es ein Alarmsignal, wie der Milliardär Stronach mit seinen simplen Botschaften Tausende Protestwähler, die sonst sichere Beute der Freiheitlichen sind, absaugen konnte.

Auch in Niederösterreich, wo gleichzeitig Landtagswahlen den Langzeit-Caudillo Erwin Pröll von der ÖVP mit 51 Prozent bestätigten, verlor die FPÖ an das Team Stronach. Der reiche „Uncle Frank“, der wie Beppe Grillo seinen Sitz im Landtag gar nicht einnehmen will, hat in beiden Bundesländern bestätigt, was ihm Demoskopen schon lange zutrauen: Ergebnisse um die 10 Prozent.

Zwar schadet Pröll mit seinen Anti-EU-Parolen vor allem der FPÖ, doch nimmt er auch ÖVP und SPÖ Stimmen weg. Sein Erfolgsrezept, so ein Politologe, liege darin, dass er den Menschen Hoffnung mache, während andere Populisten vor allem mit der Angst auf Stimmenfang gingen.

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