Harlem Shake halal oder haram?

TUNESIEN Der neueste Jugend-Craze des Internets begeistert Nordafrikas junge aufmüpfige Protestgeneration, die ansonsten gerade nicht viel zu feiern hat

„Es geht um Dinge wie Meinungsfreiheit und das Recht zu feiern“

INES ABICHOU, HARLEM-SHAKERIN

MADRID taz | „Tanz auf dem Vulkan“ hieß das Motto der Punks und New Waver in den 1980er Jahren. „Harlem Shake“ entwickelt sich in Tunesien zur aktuellen Version der musikalischen Rebellion. Inspiriert von einem YouTube-Video aus Australien, in dem Jugendliche zur Musik des New Yorker Hispano-DJs Baauer tanzen, wagen sich immer mehr Schüler im Land des arabischen Frühlings vor die Kamera.

Es ist ein Ohrwurm – 31 Sekunden – zu dem sie wild tanzen. Die Kleidung fällt oft spärlich aus. Jungs und Mädchen bewegen sich in anzüglicher Weise. Westlich Gekleidete jagen Tänzer in traditionellem Gewand durch die Szene.

Für Tunesiens sozialdemokratischen Bildungsminister Abdelatif Abid, dessen Partei Ettakatol in Koalition mit der islamistischen Ennahda regiert, ist der Tanz ein „Angriff auf die guten Sitten“. Für die radikalen Salafisten ist „Harlem Shake“ gar „haram“ – Sünde vor dem Koran. Der Harlem Shake wird zum Symbol eines Kulturkampfes.

Alles begann vor etwas mehr als einer Woche im Gymnasium Père Blanc in einem Vorort von Tunis. Die Schüler tanzten auf dem Schulhof und stellten die Aufnahme ins Netz. Minister Abid leitete Untersuchungen ein und drohte mit Schulverweis.

Salafisten machten daraufhin ebenfalls im Netz mobil und versuchten vergangene Woche – teils erfolgreich – mit Gewalt, neue Videoaufnahmen an anderen Schulen zu verhindern. „Unsere Brüder in Palästina werden von den Israelis getötet und ihr tanzt“, schrien die Salafisten vor dem Sprachinstitut Bourguiba in El Khadra. „Haut ab! Haut ab!“ lautete die Antwort der Sprachstudenten.

In Sidi Bouzid, wo die Revolution gegen Diktator Ben Ali Ende 2010 ihren Ausgang genommen hatte, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Schülern und Salafisten. Im Mittelmeerstädtchen Sousse ging die Polizei gegen Schüler vor, nachdem der Direktor eines Gymnasiums den Tanz verbot.

Am Freitag versammelten sich erneut erboste Gymnasiasten vor der Bildungsministerium in Tunis und tanzten. „Bei diesem Streit geht es um wichtige Fragen wie die Meinungsfreiheit, das Recht auf Nonkonformismus und das Recht zu feiern“, erklärt Inès Abichou, eine der drei, die den „Riesen-Harlem-Shake“ vor dem Ministerium per Facebook organisiert haben. Und letzten Dienstag versammelten sich 400 junge Menschen zum Harlem Shake vor dem Parteibüro der Muslimbrüder von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi in Kairo. REINER WANDLER