„Pfeifen im Walde“

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast: Rot-Schwarz ist arrogant und drückt sich vor den wichtigsten Problemen

taz: Frau Künast, heute müssen Sie sich im Bundestag erstmals eine Regierungserklärung von der Oppositionsbank aus anhören. Wie fühlen Sie sich?

Renate Künast: Ich spüre, dass ich langsam wieder die Kampfeshaltung einnehme, die der Opposition innewohnt.

Was soll das denn heißen?

Schwarz-Rot beginnt seine Arbeit arrogant und frech. Die Regierung verfährt nach dem Motto: Wir sind die große Koalition – was schert uns die Verfassung. Da sage ich nur: Aufgepasst!

Was wollen Sie denn dagegen tun? Die Regierung sieht sich immun gegen Kritik. Marke: Wir sind die Koalition der Verantwortung, wenn wir scheitern, geht alles den Bach runter.

Das ist wie Pfeifen im Walde. Die wirklich großen Probleme geht die schwarze-rote Koalition nicht an. Sie vertagt alle wichtigen Zukunftsfragen: Weg vom Öl: kein Thema. Gesundheitsreform: Fehlanzeige. Bildung: Sollen sich die Länder drum kümmern.

Haben Sie übersehen, dass die Regierung einen Zukunftsfonds für Familie und Bildung auflegen will?

Als Verbraucherschutzministerin a. D. kann ich nur vor Etikettenschwindel warnen. Die haben schlicht alle Gelder aus Projekten zusammengezählt, die wir auf den Weg gebracht hatten, vom Ganztagsschulprogramm über die Eliteunis bis zur frühkindlichen Bildung.

Da haben Sie’s: Bildung, Bildung, Bildung!

Mit Verlaub, die wursteln doch nur am Status quo herum. An der Zukunft der Republik wird nicht gebaut. Die Pisa-Studie zeigt uns, dass Kinder aus sozioökonomisch schwachen und Migrantenmilieus viel geringere Chancen haben, ihr Potenzial zu entfalten. Ich kann nicht erkennen, dass die Koalition die Sprengsätze entschärft, die diese mangelnde Chancengleichheit für den sozialen Zusammenhalt und die Demografie bringt. Das Angebot von Frau Merkel und Frau von der Leyen besteht im Wesentlichen aus einem Elterngeld.

Ist das so falsch?

Es ist für Akademikerinnen interessant. Deswegen wäre es ein richtiger zweiter Schritt. Als erster Schritt taugt es nicht. Denn es sind die Kinder aus den Unterschichten, die mit Defiziten von ein bis zwei Jahren in die Schule kommen. Da muss etwas geschehen. Stattdessen tourt Frau von der Leyen von Zeitung zu Zeitung und macht nette Worte darüber, dass sie sieben Kinder großgezogen hat. Das ist Bildungspolitik für Kinder mit Chauffeur.

Wie gehen Ihre Anhänger mit ihrer neuen Rolle als Oppositionspartei um?

Die sagen immer: Schade. Schade, dass du nicht mehr Ministerin bist.

Ach was. Wenn man Sie so hört, dann sind sie doch noch ganz Ministerin. Wie können Sie da glaubwürdig bleiben?

Die Frage stellt sich in Wahrheit so nicht. In der Regierung können Sie ganz konkrete Dinge umsetzen. Deswegen haben wir beim Verbraucherschutz und bei den erneuerbaren Energien so viel bewirkt. Die Zuckermarktreform war ja eigentlich der Abschluss meiner Tätigkeit …

Ihr Nachfolger Horst Seehofer hat Ihnen die geklaut?

Das war meine Zuckermarktreform, ja. Ob Seehofer da hinfährt oder nicht, war völlig egal. Die hatte eine Mehrheit. Die Umstellungshilfen für Bauern und der Tribut an die Welthandelsorganisation, das lag alles fertig auf dem Tisch. Allerdings hat Seehofer so verhandelt, dass es für den Steuerzahler noch teurer wird.

Nehmen Sie den Haushalt, den Sie mit an die Wand gefahren haben. Den können Sie doch gar nicht glaubhaft kritisieren.

Der Bundesetat könnte jetzt schon um 18 Milliarden Euro besser dastehen, wenn die damalige Opposition im Bundesrat nicht gemauert hätte.

Entschuldigung, diese 18 Milliarden sind erst die Hälfte des gigantischen Defizits von 30 bis 35 Milliarden Euro, das Sie hinterlassen haben.

Es bleibt trotzdem richtig! Wir könnten 18 Milliarden Euro weniger ausgegeben haben.

Und der Haushalt wäre immer noch nicht ausgeglichen …

… und wir hätten weitere Vorschläge gemacht, die die CDU stets ablehnte. Wo sind wir denn hier?

In der Opposition. Sie müssen noch bessere Vorschläge machen.

Ich muss meine Forderung nach Nachhaltigkeit nicht verändern. Ich habe zum Beispiel immer gesagt, die Bauern werden beim Agrardiesel bevorzugt. In drei Anläufen habe ich es schließlich geschafft, dass dieses Land dafür jährlich 280 Millionen weniger ausgibt. Das ist wenig, aber immerhin. Wir wollten das Geld in Zukunft investieren. Union und SPD nehmen das Geld jetzt, um damit Löcher zu stopfen. Wenn einer ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, dann ist es die CDU. Wir haben versucht, eine nachhaltige Haushaltspolitik zu treiben.

Der Bundesetat ist doch außer Rand und Band!

Ich habe gesagt, wir haben versucht, eine nachhaltige Haushaltspolitik zu machen, versucht.

Waren Sie etwa nicht dabei, als Rot-Grün ankündigte, der Bundesetat 2006 wird schuldenfrei sein?

Ja, natürlich. Aber nun werden Sie und die Medien doch so aufrecht sein, Frau Merkel an ihre Chuzpe zu erinnern, Vorschläge erst jahrelang abzulehnen, ohne die sie als Kanzlerin nun keinen Haushalt zustande brächte?INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER