Großes Nein-Ja-Aber

Wie lange werden die Grünen brauchen, sich in der Opposition einzurichten? Ein Jahr, meint eine

Vielleicht ist die Wut der Linken vom Frust der Rechten gar nicht so weit entfernt

VON ULRIKE WINKELMANN

Es sagte der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion zur taz: „Eine Große Koalition wird nur ein Durchgangsstadium sein. Sie wird allerdings einen erheblichen Umbaudruck auf unser Parteiensystem produzieren. Und das ist nicht ohne Risiken für uns.“ Das war Ende Oktober 1997. Der Fraktionschef Joschka Fischer sprach über die Bundestagswahl 1998. Benennen mochte er diese „Risiken“ offenbar nicht. War ja dann auch nicht mehr nötig.

Mittlerweile ist der Außenminister der Jahre 1998 bis 2005 ins Ehe- und sonstige Privatglück entfleucht. Die Grünen Fraktionschefs heißen Renate Künast und Fritz Kuhn. Gemeinsam mit den 49 anderen Grünen-Abgeordneten (wenn denn alle kommen) müssen sie sich heute die erste Regierungserklärung der Kanzlerin einer großen Koalition anhören. Sie brauchen keine Risiken mehr einzugestehen. Die liegen auf der Hand.

„Ein Jahr“, sagt eine Parteiobere düster, „werden die brauchen, sich in der Opposition einzurichten.“ Erst prügelt man sich monatelang um die wenigen Funktionen, die noch Anerkennung verheißen. Dann verfasst man unter mühsamen Debatten Konzeptpapiere, die tief in der Schublade landen. Ab und zu melden die Agenturen: „FDP und Grüne verlangen …“ Das Gesicht in der Glotze, das Zitat in der Zeitung ist nicht alles – aber wie sonst sollen die eigenen Leute erfahren, dass in der Hauptstadt noch gekämpft wird? Einen Vorteil hatte die mangelnde Medienaufmerksamkeit immerhin bislang: Niemand hörte vom peinlichen Postengezerre. Die Wählerschaft reagiert darauf meist indigniert.

Den goldenen Seriositätsorden am Bande wollen Kuhn und Künast erringen. Den Grünen gehen erklärtermaßen Inhalte vor Macht, weshalb sich in der Sache selbst die Zustimmung sowohl zu den Regierungs- wie zu den anderen beiden Oppositionsparteien ergeben werde.

Das klingt zunächst schlüssig. Hat aber zur Folge, dass die Einlassungen der Grünen eine Kette von Nein-Ja-Abers bilden. Elterngeld im Prinzip richtig, aber jetzt gerade nicht. Fahndung per Maut im Prinzip falsch, aber für Verbrecher na ja. Man müsse auf die Umsetzung, die Gesetzentwürfe warten, dann werde man sehen.

Und wenn dann zur Feier des Tages die große Koalition doch einmal plakativ kritisiert werden soll, sagt Parteichef Reinhard Bütikofer: Angela Merkel sei eine Kanzlerin für – Blick aufs Papier – „Kuh“ – kurzes Stocken – „-handel statt Zu-“ – irritierter Blick aufs Papier – „kunft“. Uff, geschafft. Die Partei hat auf dem vergangenen Parteitag wie auch schon im Wahlkampf eine Linkskorrektur verlangt. Die Basis feierte den einzigen Direktmandatgewinner Hans-Christian Ströbele – „Ich habe gewonnen, weil ich links bin.“ – ebenso wie den nach Rot-Rot-Grün neigenden (Noch-)Minister Jürgen Trittin. Kuhn und Künast jedoch wollen nicht, dass der so genannte „Türspalt“ zur CDU sich wieder schließt. Auf dem atmosphärischen Programm der Fraktion steht die Öffnung zur Union. Nicht zuletzt sitzt man im Bundestag ja nebeneinander.

Gern lässt sich auch der neue wirtschaftspolitische Sprecher und hessische Landesvorsitzende Matthias Berninger im Bundestag beim Plausch mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch von der CDU beobachten. Doch ist die Kritik, die Berninger an der eigenen Regierungspolitik übt, klarer als die der meisten anderen „Realos“ bzw. „Reformer“.

Den goldenen Seriositätsorden am Bande wollen Kuhn und Künast erringen

Ob Unternehmensteuern oder Riesterrente – die Rot-Grünen hätten einen zu hohen Gerechtigkeitspreis für gut gemeinte Reformen bezahlt. „Das ist der Kern des Problems von Rot-Grün“, sagt Berninger. Von der Unternehmenssteuerreform profitierten die Großkonzerne, dank der Riesterrente fördern nun die Schlechtverdiener ohne Alterssicherung mit ihren Steuern die Privatvorsorge der Gutverdiener.

Möglicherweise liegt also die Wut der linken Grünen über die Agenda 2010-Politik gar nicht so weit entfernt vom Frust der Rechten darüber, vom Arbeitgeberlager über den Tisch gezogen worden zu sein. Doch was die Grünen daraus lernen wollen, bleibt offen. Auch die Wähler haben ihnen keine klare Botschaft mit auf den Weg in die Opposition gegeben. In den Hochburgen, bei den Hochgebildeten in den Städten haben die Grünen verloren, im Osten und bei den Arbeitern dagegen gewonnen. Die politische Geschäftsführerin Steffi Lemke formuliert „offene Fragen“: „Wie lässt sich die klassische Klientel wieder stärker mobilisieren, ohne ‚neue‘ Wähler zu verlieren?“

Vielleicht ist das mit den Antworten wie mit den Risiken. Sie lassen sich schwer benennen, sie passieren dann einfach. Im März wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt.