das wichtigste
: Ein Exrebell, der um sein Leben kämpft

Adrian Sofri ist frei – vorerst zumindest. Am Montag gewährte ein Gericht in Pisa dem wegen Mordes Verurteilten sechs Monate Haftverschonung. Nicht den Kampagnen für seine Begnadigung verdankt Sofri diesen Akt, sondern einer lebensgefährlichen Krise: Sofri war am Samstag nach schweren Blutungen in der Speiseröhre ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Dennoch hoffen seine Freunde, dass der frühere charismatische Leader der italienischen Studentenbewegung nie mehr den Fuß ins Gefängnis Pisa setzen muss, in dem er mit einer Unterbrechung seit 1997 einsitzt und dass sein seit 1988 anhaltendes Justizdrama mit einem Gnadenakt des Präsidenten einen Schlusspunkt findet.

Mit seinem Leben als politischer Führer und Chef der spontaneistisch-linksradikalen Organisation „Lotta Continua“, die er 1969 mit anderen gründete und die 1976 zerbrach, hatte Sofri schon lange abgeschlossen. In den Achtzigerjahren war er zum viel beachteten Publizisten und Kommentator geworden. Da holte ihn seine Vergangenheit ein – als Leonardo Marino, ein alter Mitstreiter aus Lotta-Continua-Zeiten, Sofri mit schwersten Beschuldigungen überzog. Im Auftrage Sofris will Marino am 17. Mai 1972 den Polizeikommissar Luigi Calabresi erschossen haben. Calabresi war auf der Linken verhasst, weil ihm die Verantwortung für den angeblichen Selbstmord eines Anarchisten angelastet wurde, der 1969 bei einem Verhör aus dem Fenster des Polizeipräsidiums in Mailand gestürzt war.

Damit begann 1988 Sofris drittes Leben: erst als Angeklagter, dann als Verurteilter. Mit zwei weiteren Mitangeklagten machte er eine bis zum Jahr 2000 dauernde Prozessodyssee durch: In acht Prozessen wurde er mal freigesprochen, dann wieder verurteilt – bis am Ende das Kassationsgericht auf 22 Jahre Haft entschied.

Gestützt wurde die Anklage allein durch die Aussagen des Kronzeugen Marino, während Sofri den Mordvorwurf stets bestritt. Er ist der Einzige, der bis jetzt effektiv in Haft saß: Ein Mitverurteilter hat sich ins Ausland abgesetzt, ein weiterer ist wegen seiner schlechten Gesundheit entlassen – und der Kronzeuge ging straflos aus.

Sofri weigerte sich immer, ein Gnadengesuch zu stellen, da er unschuldig sei. Doch ein breites Bündnis von Politikern und Journalisten setzt sich seit Jahren für seine Begnadigung ein. Auch jetzt erhielt Sofri im Krankenhaus Solidaritätsadressen vom Chef der Linksdemokraten Piero Fassino, vom Bürgermeister Roms, Walter Veltroni, aber auch vom Sprecher der Berlusconi-Partei Forza Italia. Bisher scheiterte die Begnadigung am Widerstand des Justizministers Roberto Castelli von der Lega Nord. MICHAEL BRAUN