BEI DER MALERIN
: Giacomettis Bruder

Bist du bereit, fragt sie. Immer, sage ich dümmlich

Okay, sagt sie, ja okay, da habe ich einen auf Malerschwein gemacht, Kippenberger und so, und zeigt auf drei Bilder, die mehr oben als auf Augenhöhe hängen.

Wir sitzen in ihrem Atelier in einer ruhigen Straße in Steglitz. Sie auf einem sesselähnlichem Etwas, ich auf einem Klappstuhl. Zwischen uns steht ein Tisch, auf dem ihre Künstlerbücher und Kataloge liegen. Daneben eine Tasse Tee, ein verschließbarer Aschenbecher, verschiedene Flyer und Stifte.

In einer Ecke stapeln sich die gerollten Leinwände. Zeig mal, sage ich. Nein, noch nicht, das ist zu heftig, sagt sie. Sie hat mir einen Achtziger-Jahre-Zyklus angekündigt, an dem sie gerade arbeitet. Verstehe, vielleicht ist das wie Entkleiden vor jemandem, den man nicht richtig kennt und mit dem man, obgleich keine Badesachen da sind, gern schwimmen gehen möchte.

Wir sitzen und reden eine Weile. Dann zeigt sie mir kleinere, bereits gerahmte Arbeiten, die sie auf dem Boden an einer Wand aufreiht. Bist du bereit, fragt sie dann. Immer, sage ich dümmlich. Sie nimmt die größte Rolle aus der Ecke, lässt sie auf den Boden fallen und zieht eins der Bilder heraus. Sag mal, frage ich, während sie das Bild auf dem Boden hinter sich herzieht, geht das nicht kaputt? Sie lächelt schön, hält das Bild hoch und schießt es mit einer Tackerpistole an die Wand.

Ich habe einen Daumen breit Spielraum, sagt sie und tackert weiter. Die Farbe, das ist doch getrocknet, sage ich. Ja, sagt sie. Herrjeh, das geht doch kaputt, erwidere ich. Sie lächelt und sagt: Ich bräuchte jemanden wie Giacomettis Bruder. Der hat seine Sachen gerichtet, wenn Giacometti in der Kneipe war. Ihre Daumen sind mit dunkler Farbe gesprenkelt.

Wir öffnen den Rotwein, und ich sehe lange auf die vier großformatigen Bilder, bis ich sie mit den Augen fotografiert habe.

BJÖRN KUHLIGK