Interview mit Bettina Raddatz: "Das Kritische weggedrückt"
Erst als Autorin von Kriminalromanen begann Bettina Raddatz, über die Schattenseiten der Macht zu reflektieren. Die Ministerialrätin arbeitete in der niedersächsischen Staatskanzlei. Nun hat sie gekündigt.
taz: Frau Raddatz, Sie zeichnen in Ihren Büchern ein sehr einfaches Bild von den Mächtigen in Politik und Verwaltung: Sie kungeln, mauscheln, intrigieren. Ist das nicht ein bisschen überzeichnet?
Bettina Raddatz: Das kann schon sein, aber das ist auch mein Recht als Autorin. Ich schreibe Romane und keine Sachbücher. Dennoch will ich mit meinen Büchern die politische Botschaft rüberbringen, dass im Politikbetrieb und auch in Behörden einiges nicht so gut ist, wie es sein könnte.
Wie viel von Ihren Geschichten ist authentisch?
So etwas kann man sich zum Teil gar nicht ausdenken, was ich schreibe. Die Dialoge und die Beschreibungen, wie es in der Politik vor sich geht, die sind weitgehend authentisch. Die Handlung, die eigentliche Kriminalgeschichte ist mehr oder weniger erfunden.
Und die Atmosphäre – der sehr eigenwillige Umgang untereinander in den Behörden – ist auch authentisch?
Ja, absolut. Manche Kollegen sagen, das ist eher untertrieben als übertrieben.
Waren Sie auch so?
60, ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Ministerialrätin und Buchautorin. Sie lebt in Hannover.
In der Verwaltung: Sie begann mit Mitte 20 ihre Karriere in den Behörden. Sie arbeitete zunächst im Bundesbildungsministerium, wechselte später in das niedersächsische Wirtschaftsministerium und dann in die Staatskanzlei. Sie war dort lange für Wirtschaftskontakte zuständig. Sie hat in diesem Jahr ihren Behörden-Job aufgegeben, um zu schreiben.
In der Wirtschaft: Raddatz war wenige Monate Mitglied im Vorstand des Kabelunternehmens Gundlach & Sülter. Das Unternehmen ging insolvent und war in einen Finanzskandal verwickelt.
Als Autorin: Ihre Vorstandszeit in dem Unternehmen verarbeitete sie in dem Sachbuch "Treu & Glauben". Heute schreibt sie Polit-Krimis. Die ersten zwei Bände ihrer Niedersachsen-Trilogie heißen: "Der Spitzenkandidat" (2011) und "Die Staatskanzlei" (2012).
Ich habe versucht, das in der Person Wagner in meinem Buch „Die Staatskanzlei“ aufzuarbeiten. Es gibt einen permanenten Loyalitätskonflikt. Er will es auf der einen Seite seinen Vorgesetzten Recht machen, auf der anderen Seite kennt er die Probleme. Zum Beispiel bei der Haushaltsmisere erkennt er: Das geltende System lädt geradezu zur Verschwendung im großen Stil ein, aber oft macht er das alles mit. Bei sich denkt er: Das ist ja ein Unding, behält den Gedanken aber für sich. So wie er bin ich auch Teil des Systems. Ich habe das mitgemacht.
Was stört Sie?
Ich finde zum Beispiel den Nord-Süd-Dialog problematisch, da es auch um Steuergelder geht. Dieses Wirtschaftstreffen habe ich im Buch schon beschrieben, bevor ich wusste, dass es in der Wulff-Affäre Thema werden würde. Aber: Ich bin sicher, die Staatsanwaltschaft wird alle Ermittlungen einstellen.
Und warum haben Sie so lange den Job gemacht?
Ich war begeistert von den Aufgaben, auch von meinen Vorgesetzten. Der SPD-Ministerpräsident Gerhard Schröder war eine interessante Persönlichkeit, sein Staatskanzlei-Chef Frank-Walter Steinmeier menschlich absolut nett und sympathisch. Ich habe für diese Menschen gerne gearbeitet, meine Themen gerne bearbeitet. Das Kritische habe ich weggedrückt.
Was hat Sie so begeistert?
Die Aufgaben waren ungemein spannend. Außerdem: Macht ist anziehend, Wenn man in einer gewissen Führungsposition arbeitet, dann wird man natürlich auch ein Stück hofiert. Auch wenn es keine Top-Führungsposition war, die ich innehatte. Welcher Mensch findet das nicht gut? Ich bin ganz ehrlich: Ich fand das sehr in Ordnung. Und natürlich konnte ich sehr viel gestalten. Insbesondere Gerd Schröder und Franz-Walter Steinmeier haben mir enorm viel Freiräume gegeben. Das macht dann einfach Spaß.
Wann setzte die Reflektion ein?
Ich habe mich mit den Problemen erst auseinandergesetzt, als ich anfing, Romane zu schreiben. Mit der Entwicklung meiner Figuren fing ich an, mit Distanz auf meine Arbeit zu blicken.
Warum schreiben Sie?
Ich habe mit 14 Jahren beschlossen, Schriftstellerin zu werden. Dann hatte ich aber mit 23 Jahren schon direkt die Chance, in ein Ministerium zu kommen, damals in ein Bundesministerium zu der Zeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt, und habe dann immer peu à peu gewechselt.
Auch einmal in die Wirtschaft. In den Vorstand der Gundlach & Sülter AG.
Das war eine sehr unglückliche Geschichte, weil das Unternehmen in Konkurs ging, nach ganz kurzer Zeit, und ich im Vorstand saß. Das Unternehmen war wahrscheinlich vorher schon pleite. Dann waren Gelder verschwunden und die Staatsanwaltschaft hat gegen mich ermittelt. Die Anleger wollten 20 Millionen Mark von mir.
Sie schrieben ihr erstes Buch.
Ja, mit Hilfe von Journalisten habe ich alles offengelegt und beschrieben, wie es wirklich war: Ich hatte mit der ganzen Sache nichts zu tun. Damit war ich rehabilitiert. Die Verfahren gegen mich wurden eingestellt.
Das heißt: Ausgepackt haben Sie schon mal.
Ja, das habe ich zwangsläufig, weil ich ganz unten war. Hätte ich das Buch nicht geschrieben, würde ich vermutlich nicht vor Ihnen sitzen.
Packen Sie in ihrem Krimi über die Atmosphäre in der Staatskanzlei aus?
Es geht in erster Linie darum, spannende, unterhaltsame Kriminalromane zu schreiben. Das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen. Ich will eine gute Roman-Schriftstellerin sein. Darum kämpfe ich. Und das ist hart. Ich musste den ersten Roman „Der Spitzenkandidat“ zwei Mal komplett umschreiben. Sie schreiben als Ministerialrätin anders als eine Romanautorin. Aber ich kann einen Einblick in den Politikbetrieb geben aus dem Inneren heraus.
Was haben die Kollegen gesagt, als das Buch rauskam?
Gar nichts. Es gibt zwei, drei Kollegen, die mich angesprochen haben, die das gut finden. Die anderen haben alle geschwiegen. Und das ist ganz typisch. Die deutsche Beamtenschaft ist zwar hochqualifiziert, aber es fehlt an Zivilcourage: Haltung zeigen, auch wenn es den Vorgesetzten nicht gefallen könnte.
Sie steigen vorzeitig aus Ihrem Job aus. Warum?
Ich will einen sauberen Schlussstrich ziehen, ich will mich jetzt ausschließlich schriftstellerisch betätigen. Ich habe schon gekündigt, ich steige aus.
Sie haben als Frau relativ früh Karriere in Behörden gemacht. Wie war das für Sie?
Als ich anfing im niedersächsischen Wirtschaftsministerium mit 25 Jahren, war ich die erste Referentin, die erste Frau, im höheren Dienst. Das war brutal.
Wie meinen Sie das?
Das war Mobbing in einer Form, das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich durfte im kältesten Winter keine Hosen anziehen, das wurde mir verboten. Wenn ich trotzdem mal eine Hose anzog, dann hat der Abteilungsleiter immer zu mir „Herr Raddatz“ gesagt. Als ich geheiratet hatte, kam sofort der Personalchef und sagte, dass ich dann ja nun endlich aufhören würde zu arbeiten. Ich wäre doch jetzt verheiratet und versorgt und sollte keinem Mann den Arbeitsplatz wegnehmen. Ich war 26 Jahre alt. Das was wir jetzt zum Teil über den Islam hören an Frauenverachtung, das habe ich im Wirtschaftsministerium erlebt, vor gut 30 Jahren.
Wie lange haben Sie es dort ausgehalten?
Mit Anfang 30 konnte ich dann in die Staatskanzlei wechseln. Und da begann für mich der Himmel auf Erden, bei Ministerpräsident Ernst Albrecht wurde ich fair behandelt.
Und die Kollegen?
Die waren ganz anders. Albrecht hatte ganz viele junge Leute um sich. Die gingen anders mit Frauen um.
Und wie sieht es heute aus mit der Gleichberechtigung?
Wenn man erstmal in der Führungsposition ist, wird man gleich behandelt. Aber es ist natürlich für eine Frau immer noch sehr schwer, dahin zu kommen. Es gibt ja ganz wenige Referatsleiterinnen in der Staatskanzlei.
Inwiefern haben Sie bei ihrer Arbeit etwas mit dem viel beschriebenen Hannover-Klüngel zu tun?
Ich hatte auch dienstlich mit dem Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer zu tun, unter anderem in der Schröder-Zeit. Ich kann nichts Negatives sagen, aber ich weiß natürlich von Anlegern, die sich geschädigt fühlen. Und natürlich gab es Bemühungen, Einfluss auf Gesetze im Versicherungsbereich zu nehmen. Maschmeyer stand ja an der Spitze einer der ganz großen Finanzdienstleister in Niedersachsen.
Sie waren Mittelstandsbeauftragte, haben an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Verwaltung gearbeitet. Haben Sie nie Erfahrungen mit dem Klüngel gemacht?
Doch, schon. Ich habe den Eindruck, dass im Hintergrund Fäden gezogen werden. Ich habe das selbst gemerkt: Beim ersten Buch hatte ich schon den Eindruck, dass es in bestimmten Kreisen nicht gewollt war. Das verstehe ich nicht, denn ich attackiere weder Wulff noch andere Politiker. Mir geht es um Politik- und Gesellschaftskritik insgesamt.
Woran machen Sie fest, dass Ihr Buch nicht gewollt war?
Als in einem Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung stand, dass die Hauptfigur in „Der Spitzenkandidat“ Züge von Wulff oder Gabriel haben könnte – da verschwand mein Buch aus vielen Auslagen. Angeblich war das Zufall. Aber ich bekam auch Lesungsabsagen.
Wie erklären Sie sich das?
Ein ehemaliger Buchhändler sprach auf einer Pressekonferenz im Leineschloss von vorauseilendem Gehorsam. Nach dem Motto: Wir wollen die Mächtigen in Politik und Wirtschaft nicht verärgern. Es hieß auch, dass das Buch zu heikel sei. Das fand ich nicht witzig, wo wir Deutsche doch so stolz auf unsere Verfassung mit Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst sind. Bei dem zweiten Roman hat sich das aber grundlegend geändert. Das Buch liegt überall aus und die Lesungen sind gut besucht.
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