Eine großartige Feier der Farbe

MALEREI Mit einem machtvollen Aufmarsch besprühter Ballons gelingt es der Berliner Künstlerin Katharina Grosse im niederländischen De Pont Museum einmal mehr, die Farbe in den Mittelpunkt des räumlichen Geschehens zu stellen

Du verknüpfst alle Punkte, die du gerade hinter dir gesehen hast, mit denen, die vor dir sind

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Katharina Grosses Ausstellung im De Pont Museum in Tilburg ist eine Entdeckung. Unvermittelt lehnt ein fast vier mal acht Meter großes farbiges Gitternetz schräg im Raum – als strecke es kokett seinen gewaltigen Leinwandbauch aus. Unweit davon entfernt lenkt ein bunt besprayter Brockenhaufen den Blick auf farbige Details, bevor eine Reihe blauer und schwarzer Ballons aus der Ferne zum Weitergehen lockt. Wer den überdimensionalen Kugeln folgt, steht in der Werkhalle der ehemaligen Wollmühle plötzlich vor dem zentralen Werk der Schau: „Two Younger Women Come in and Pull out a Table“. Hinter dem narrativen Titel verbirgt sich ein extrem anziehender Farbparcours, den Grosse auf unzähligen Latexballons kreiert hat. Während der gewählte Satz eine Aktivität beschreibt beziehungsweise ein Bild eröffnet – ein Verfahren, das die in Berlin lebende Künstlerin auch als Regieanweisungen versteht, die sie ihren Werken erteilt –, verweigert ihre Kunst letztlich jede Erzählstruktur.

Für Grosse drückt sich in solch einem Titel durchaus die Sehnsucht nach einer Vorstellungswelt aus, die sie auch toll findet, aber nicht direkt erfahrbar machen möchte und nur unterschwellig ins Bild schmuggelt. Zunächst geht es ihr aber um etwas anderes. Sie fragt danach, wie Malerei heute sichtbar werden kann und wo. Vor diesem Hintergrund hat sie seit Ende der 90er Jahre vor allem durch verblüffend souveräne All-over-Sprayarbeiten in überdimensionierten Raumformaten den Malereibegriff maßgeblich umdefiniert. Für Grosse besitzt die Malerei keine Grenzen. Das ist es, was sie an ihr so anziehend findet.

Auch in Tilburg entführt sie uns in ein expandiertes abstraktes Gemälde. Auf einer Fläche von circa 30 mal 40 Metern können wir in ein „Bojen-Meer“ eintauchen, in dem sich mit jedem Schritt und Blick ein neuer Bildaspekt auftut. Grosse beschreibt den Entstehungsprozess ihrer Malerei im Raum als eine Art Schachspiel mit sich selbst. „Du verknüpfst alle Punkte, die du hinter dir gerade gesehen hast, mit denen, die vor dir sind. Diese Form des Denkens, die man als Malerin hat, finde ich total faszinierend.“ Was stattfand, ist registriert und wird durch den nächsten Farbauftrag erweitert. Diese Art des Sehens findet sich in der ästhetischen Erfahrung der Betrachter widergespiegelt. So überrascht etwa eine blaue Partie mit einer erdbeerfarbenen Rückseite, während im nächsten Moment ein fast durchsichtiger Ballon die Farben der angrenzenden durchscheinen lässt. Das erzeugte Bild schreibt sich unentwegt fort. Auf den bunten Ausgangsmaterialien bilden die Farbspritzer und -schlieren eine konkurrierende zweite Ebene. Meistens werden mehrere Bälle gleichzeitig „befleckt“, aber nie ganz eingefärbt, wodurch ihr Volumen negiert wird. Geschickt entkommt die theatralische Installation durch diese flüchtigen und spröden Farboberflächen dem reinen Spektakel.

Neben ihren plastischen Werken zeigt Grosse erstmalig auch 15 Leinwandarbeiten aus den letzten zehn Jahren. Die Entscheidung, sie in so geballter Form zu präsentieren, verwundert im ersten Moment. Tatsächlich lassen sich die Großformate aber bestens in die Räumlichkeiten integrieren und ergänzen den begonnenen Parcours trefflich, denn auch die Gemälde bewegen sich stets auf einer Ebene der Vieldimensionalität. Um diese zu erzeugen, schüttete Grosse zum Beispiel Erde auf die Leinwand, die Teile abdeckt und freiliegende Zonen ausgrenzt und zur Übermalung freigibt. An den Rändern dieser Strukturen bilden sich feine Krümel, die bemalt wie übergroße Pigmentstücke aussehen. Oft tun sich in den farblich sehr expressiven Bildern Inselstrukturen oder Löcher auf, die auf verschiedene Ebenen verweisen.

Vollkommen unerwartet liegt am Ende der Gemäldereihe nochmals ein Brocken. Er sieht wie ein übergroßer Erdklumpen aus, der unter seinem braunen Deckmantel ganz leichte Farbschimmer trägt. Beinahe wie ein organischer Gegenpart zu den künstlichen Farbfelsen am Eingang stellt er ein Scharnier zu den Gemälden da, bei denen Erde benutzt wurde. In den aktuellsten Arbeiten werden die dynamischen Ausgrenzungen und räumlichen Schichtungen nunmehr mit Schablonen erzeugt. Die spitz zulaufenden, bunt gesprayten Formen überlagern sich vor dem weißen Bildgrund wie ein organisches Netzwerk, das sich mit einer unheimlichen Dynamik über die Fläche ergießt. Dabei durchkreuzen Tropfspuren der hinter den Schablonen heruntergelaufenen Farbe anarchisch die akkuraten Ränder der ausgeschnittenen Formen. Die Vielschichtigkeit und die ständigen Perspektivwechsel der begehbaren Balllandschaft inszenieren sich auf Grosses Leinwänden in einem heftigen Moment der Gleichzeitigkeit, der nur im Reich der Malerei existiert.

■ Bis 9. Juni, De Pont Museum of Contemporary Art, Tilburg