Die Wahrheit: Die indische Hochzeit
Eine Hochzeit in Delhi. Der Abend beginnt dort, wo jeder Abend in Delhi beginnt: im Auto. Feierabendverkehr? Nein. Stau ist in dieser Stadt ein Dauerzustand.
E ine Hochzeit in Delhi. Der Abend beginnt dort, wo jeder Abend in Delhi beginnt: im Auto. Feierabendverkehr?
Nein. Stau ist in dieser Stadt ein Dauerzustand. Fahrradfahrer, die meterlange Leitern transportieren. Rikschas. BMW mit verspiegelten Fenstern, die nur heruntergelassen werden, wenn der Besitzer sich einer Dose Cola entledigt. Dazwischen preisen Kinder Zuckerwatte oder Handy-Ladegeräte an, die man in Zigarettenanzünder steckt.
Unser Fahrer schlängelt sich wie ein Formel-1-Pilot durch den Verkehr. Bei jedem Überholmanöver hupt er mehrmals. Wie alle anderen. Man könnte meinen, ganz Delhi sei zur Hochzeit unterwegs. Da wir zu fünft sind, müssen wir immer wieder die Fenster öffnen, damit die Scheiben nicht beschlagen. Wer hätte gedacht, dass ich in Indien einen Wintermantel vermissen würde? Man sollte die vier Grad kalte Luft nicht tief einatmen, der Smog bringt einen zum Husten.
An einem Kontrollpunkt hält uns die Polizei an. Sie überprüfen, ob Fahrer und Beifahrer angeschnallt sind. Das ist seit neuestem Gesetz. An diversen Straßenkreuzungen werden weiße T-Shirts mit aufgedrucktem schwarzen Gurt verkauft, damit man angeschnallt aussehen kann, ohne es sein zu müssen.
Dank der fehlerhaften Wegbeschreibung auf der Einladung nehmen wir einen Umweg über die Grenzen Delhis hinaus. Nach fast zwei Stunden Fahrzeit erreichen wir endlich die angegebene Adresse. Am Eingang steigen wir auf zwei Golfcarts um. Die Frauen dürfen neben den Fahrern Platz nehmen, damit ihre Saris nicht verrutschen, die Männer stehen hinten und halten sich am Dach fest.
Wir rasen eine Heckenallee entlang, darauf durch einen orangerot beleuchteten Raum, in dem Lichterhecken von der Decke hängen, und stoppen am Ende vor einem Springbrunnen. Zwei Diener mit Turbanen halten uns den Eingang zum Festzelt auf.
Drinnen ist es nicht viel wärmer. Die Gäste gruppieren sich um Heizpilze. Diener reichen uns Whisky, Black Label, und scharfes Chicken Tikka für ein bisschen innere Hitze. Auf einer Bühne am anderen Ende des Zeltes ertönt Musik. Das Brautpaar läutet Tanznummern ein: Auf „My Heart Will Go On“ folgt ein Song aus dem aktuellen Bollywoodstreifen „The Dirty Picture“. Die Tänze sind perfekt choreografiert wie in einem Musikvideo von Michael Jackson. Achthundert Gäste jubeln.
Es ist keine besonders große Hochzeit, erfahre ich, neben dieser finden bloß drei weitere Festlichkeiten statt, vor der eigentlichen Trauungszeremonie. Die Eltern des Brautpaars haben sich dafür verschuldet. Das ist normal. Immerhin, wird mir weiter erklärt, ist man nicht so verrückt, tagelang durchzufeiern, wie auf einer Punjabi-Hochzeit!
Stunden später wird schließlich das Buffet eröffnet. Drei Dutzend Gerichte dampfen und füllen das Zelt mit würzigen Gerüchen. Indien und der Westen vereinigen sich in einem golfballgroßen Curry-Hamburger. Man isst und geht dann. Nicht aus Unhöflichkeit. Das Essen markiert den Schluss- und Höhepunkt des Abends. Und außerdem ist die Heimfahrt lang.
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