Feierabend für alle

Die Realität durch’s Latte-Macchiato-Glas gesehen: Rinkes „Café Umberto“. Ein Abgesang der Generationen „Fun“, „Golf“ und „Praktikum“

o sitzt der moderne Großstädter heute herum? Im „Job Center“ und im Café. Ein konsequenter Kunstgriff also, dass Moritz Rinke in „Café Umberto“ vereint, was situativ längst zusammengehört: Umberto, ein stumm-effizienter Italiener, hat sich seinen Arbeitsplatz mit dem Schild „Ich hier Ich-AG“ an Ort und Stelle selbst geschaffen, jetzt tummelt sich das Ensemble des Schauspielhauses stellvertretend fürs Publikum in einem Ambiente aus abriebfestem Teppich und Capuccino à la Toscana.

Man zieht, wie schon so oft, ein Märkchen, fächelt sich mit Formularen Luft zu („Ich füll’ meins jetzt mal aus.“) und lauscht der fallenden Terz mit dem wabbeligen Hammond-Sound, die das Weiterklickern der Wartenummer ankündigt. Rinke, der Ex-Worpsweder, hat aus Recherchegründen Monate in diversen Berliner Jobagenturen verbracht, wo er ab und an auch ihm bekannte Schauspieler traf. Kein Zufall also, dass seine „Café Umberto“-Arbeitslosen keine freigesetzten Normalo-Malocher sind, sondern Kreativlinge und andere Angehörige der Neuen Mitte: ein Komponist, eine Textildesignerin, der unvermeidliche Erdkundelehrer, ein in Ehren sowohl ergrauter als auch entlassener Hochschullehrer. Ausgestattet mit Laptop und anderen Insignien des Yuppietums sitzen sie auf dem institutionstypischen Hartschalengestühl und versuchen, sich trotzdem gut zu fühlen. Merke: Die Generation Latte (Macchiato) schlürft ihren Milchschaum in allen Lebenslagen. Als Kontrapunkt läuft Landwirt Kück, August Kück, durch die Szene, der offenbar seine Qualifikationen zu Markte tragen muss: Irgendwann rutscht der Fahrtenschwimmer von 1962 aus seinen Unterlagen.

Alissa Kolbusch hat ein 1a-Arbeitsamt mit dynamisch geneigten Wänden auf die Bühne gestellt, Regisseur Nicolai Sykosch sorgte für den passenden Soundtrack: Hymnisches aus dem Paradies der Vollbeschäftigung und melancholischen SU-Swing. In diesem Setting entwickeln sich drei Paargeschichten, schließlich interessiert sich Rinke insbesondere für die Chancen der Liebe unter den Bedingungen der Erwerbslosigkeit. Erdkundelehrer Lukas (gibt es eigentlich jemand, der keinen öden Erdkundelehrer hatte?) stellt fest: „Der Sex ist tot und die Würde auch.“ Dabei hat er sogar eine gut verdienende Freundin, die Moderatorin Sonia Berger nämlich, deren Stimme ständig aus den immer wichtiger werdenden Abfertigungs-Computern flötet. Jule und Jaro (Musiker und textile Ich-AG) versuchen, die Gleichungskette „ohne Job keine Würde keine funktionierende Beziehung“ zu durchbrechen, doch die selbst organisierte Modeschau auf dem Behördenflur scheitert kläglich.

Einiges in diesem mäandernden Werk ist schlicht anrührend. Wie die Szenen zwischen arbeitslosem Hochschullehrer („Ist hier die Wartezone für den akademischen Bereich?“), der sich seine Laubhark-Jobs schön redet, und seiner zutiefst frustrierten Frau, die weder Situation noch Drumherumgelüge länger ertragen kann. Die Jüngeren wollen schon noch Spaß haben: Langsam richten sie sich im personalentleerten Amt häuslich ein, alle haben ja im Kino „Die fetten Jahre sind vorbei“ gesehen – die sukzessive Aneignung des Ortes kulminiert in einer Nacktmalparty.

Das narrative Muster: Auf Eigeninitiative folgt Depression folgt neue Wendung, woraus sich weniger ein dramatischer Bogen als ein Verlaufsausschnitt ergibt. Das Spannende daran: Man beobachtet das Scheitern eines Lebensgefühls. Oft genug ist es das eigene. Henning Bleyl

Die nächsten Termine: 10., 18. und 28. Dezember, jeweils 20 Uhr im Schauspielhaus. Besetzung: Gallmann, Kleinschmidt, Grix, Baum, Schreiner, Greisner, Möller-Lukasz, Audehm, Maschek.