Kurzkritik
: Zerrissenheit als Lebensgenuss

Ein Hamburger Jung, der in Venedig lebt, spielt einen Düsseldorfer Jung, der in Paris lebte, und ein russischer Akkordeon-Musikant, der in Hamburg lebt, malt dazu melancholische Klangbilder. Um Zerrissenheit geht es. Ulrich Tukur gibt mit Stegreif-Beiläufigkeit und Großschauspieler-Vokabular den Großdichter Heinrich Heine – als im eigenen Lebenswerk herumblätternden Großskeptiker. Es entsteht schlaglichtartig das Psychogramm eines Heimat ersehnenden, Heimat verachtenden, heimwehkranken Weltenbürgers. Da sind die Bösartigkeiten über die enge „deutsche Krämerwelt“ mit ihrem “Maulwurfsglück“ und der bierstimmigen Politdumpfheit. Und da ist die Schwärmerei, die Loreley-Poesie, die Freude an gebratenen Sprotten und der Schmerz über die abwesende Mutter. Gefeiert wird die Leichtigkeit und Musikalität, mit der Heine die Schärfe des Witzes mit der Anmut der Reimkunst verbindet.

Tukur feiert erst recht, wenn Heine hineingerissen wird ins irdische Gewimmel, der Liebe heitere Kunst – gegossen in Verse voller Veilchenduft und Mondenschein. Aber auch dort der Zwiespalt. Heine als Liebesdichter und spötter, Vollender der Romantik und zugleich ihr Terminator. Tukur-Heine präsentieren Zerrissenheit als aufregenden Lebensgenuss. Auf der Flucht zu Hause. Jens Fischer