herr tietz macht einen weiten einwurf
: Unverhoffer Album-Hit

Eine Wiederentdeckung: Warum das Bergmann-Bilder-Sammelalbum von 1970/71 unverkäuflich ist

Mitte November. Ein Paket aus Bielefeld. Meine Mutter schickt was. Ja, ist denn heut schon Weihnachten? Ganz schön schwer das braun eingeschlagene Trumm. Ganz schön schwer auch, es auszupacken. Nein, das hat meine Mutter selbst 15 Jahre nach dem Ende der DDR nicht verlernt. Die unzähligen Päckchen, die sie bis 1989 nach drüben schickte. Die mussten alle ostzonenfest eingeschlagen sein. Die Grenzer sollten durch eine zu leicht zu knackende Verpackung erst gar nicht in Versuchung gebracht werden, sich an den Kaffee- und Klamottenspenden für Oma und die Onkels zu vergreifen.

Endlich habe ich es geschafft, mich durch die seemannsknotenfest verschnürten und zusätzlich noch mit Klebeband gesicherten drei Papier- und Pappschichten bis zum Inhalt durchzukämpfen. Und was ist drin? Zwei Fuder Süßes für die Kinder, die obligatorische Schachtel Mon Cherie für meine Frau, ein Paar Socken für mich sowie – vier großformatige Bildbände. Die ja wohl mir gehörten, wie meine Mutter im Beibrief vermutet, denn es seien Fußballbücher. Sie habe sie beim Aufräumen gefunden.

Aber Mutter hat nicht ganz recht. Weder die Buchgemeinschaftsausgabe „VIII. Fußballweltmeisterschaft England 1966“ noch „Ein Tagebuch – Fußball-Weltmeisterschaft 1986“ von Doeres Bausen und schon gar nicht „X. Fußballweltmeisterschaft Deutschland 1974“ von Hennes Weisweiler gehören mir, sondern sind allesamt Eigentum meines älteren Bruders. Nur das vierte Buch ist nicht ausschließlich seins. An dessen Habschaft bin ich wesentlich beteiligt, handelt es sich doch um das „Bergmann-Bilder-Sammelalbum“ der Bundesligasaison 1970/71. Und dafür habe ich als damals 13-Jähriger fleißig mitgesammelt und ein erklecklich Teil meines bestimmt nicht üppigen Taschengeldes in die Sammlung der Bilder investiert, die übrigens vollständig vorhanden sind und akkurat eingepasst an den für sie vorgesehenen Stellen im Album kleben. Keines der insgesamt 434 Sammelbilder fehlt.

Dieses Fußballalbum ist der Hit. Bestimmt zwanzig Jahre her, dass ich es zuletzt in den Händen hielt. Und während ich es andächtig durchblättere, treibt es mir Tränen der Verzückung in die Augen. Was für ein wunderbares Relikt meiner Jugend! Sämtliche Spieler und Trainer der Bundesligasaison 70/71. Alle Mann einzeln, farbig und höchst adrett porträtiert auf zigarettenschachtelgroßen Abbildungen. Dazu – in Bunt auf goldenem Grund – die Wappen aller 18 Vereine der Saison. Und die neunseitige Bildstrecke am Anfang des Albums nicht zu vergessen, mit etlichen, ebenfalls tipptopp fotografierten Mannschafts- und Szenenaufnahmen von der WM 1970. Kurzum: eine Kostbarkeit.

Meint auch Freund Hein, als ich ihm das Schätzchen zeige. Hein ist Braunschweig-Fan, also schlägt er gleich mal den Eintracht-Kader im Album nach und erblickt gerührt seine einstigen Helden: Wolter, Grzyb, Lorenz, Ulsaß und wie sie alle hießen. Und hier, guck mal, bei Werder Bremen, die Fresse kennste doch auch? Na klar, unverkennbar, der junge Rudi Assauer. Und Otto Rehhagel spielte damals bei Lautern. Und hier – Hein schreit fast auf vor Begeisterung – den fand er immer so toll: Horst „Pille“ Gecks, vormals Meidricher SV, seit 1969 bei den Offenbacher Kickers. Hein will das Album haben. Sofort. Bietet mir 50 Euro. Doch ich lehne ab. Das Bergmann-Sammelalbum bleibt im Familienbesitz. Es ist schließlich das Album der Saison 70/71, der ersten also, in der meine Bielefelder Arminia erstklassig spielte. Selbstverständlich ist auch deren Kader in dem Album vollzählig abgebildet. Feierlich nenne ich Freund Hein alle Spielernamen: Braun, Siese, Kuster, Roggensack, Klein, Schulz, Knoth, Slomiany, Brücken, Wenzel, Triebel, Köller, Neumann, Kohl, Oberschelp, Stockhausen, Bittner, Stürz, Brei, Kemena, Leopoldsede, Trainer Erich Piechazeck.

Danach sieht Hein ein: Dieses Album ist unverkäuflich.