Alexander Kluge in Frankfurt: Auftritt eines Sprengmeisters
Erzählend fortsetzen, was Adorno und Horkheimer begonnen haben: Alexander Kluge streichelte bei der Frankfurter Poetikvorlesung die Intellektuellenseele.
Die Frankfurter Poetikvorlesung zu halten heißt immer auch, Frankfurt und das Publikum ein wenig zu verstehen. Da gibt es Zuhörer, die seit Jahrzehnten kommen, für die schon der Umzug der Veranstaltung vom schrammeligen Bockenheimer Campus, der den Geist von Protest atmet, in die schicken Gebäude im Westend eine Zumutung war.
Wenn einer all das versteht, dann Alexander Kluge, der die fünfziger und sechziger Jahre in Frankfurt erlebt, mit Adorno zusammengearbeitet hat und weiß, welche Bedeutung die Frankfurter Schule für die Denkstrukturen in den akademischen Kreisen der Stadt bis heute hat.
Also kam Kluge zur ersten seiner vier Vorlesungen und die Zuhörer kamen in Scharen. 1.200 dürften es gewesen sein. Und Kluge streichelte die Frankfurter Intellektuellenseele, ohne sich anzubiedern. Er sprach, wie man es von ihm kennt: ausschweifend, assoziationsreich und pointiert zugleich.
„Theorie der Erzählung“, so hat er seine Vorlesung genannt, die er mit dem Bekenntnis eröffnete, dass sich dies bei näherer Betrachtung als ziemlich schwieriges Thema herausgestellt habe. Die Praxis, man ahnt es, falle ihm leichter. Und trotzdem gelang Kluge das Kunststück, in rund 60 Minuten beides miteinander zu vereinen, ja sogar so zu verschmelzen, dass daraus etwas Eigenständiges und Unverwechselbares wurde.
Theorie und Praxis
Er sei, so Kluge, ein Erzähler, der das fortsetze, was Adorno und Horkheimer vorbereitet hätten: „Theorie im Sinne der Kritischen Theorie ist immer von Lebensinteresse gespeist.“ Damit man sich ein wenig aneinander gewöhne, wolle er zunächst den Ort ausleuchten, sagt Kluge, und führt zurück in die späten sechziger Jahre.
Im Wintersemester 1968/69 übernimmt Niklas Luhmann Adornos Vertretung; das ist so ein Moment einer vereinigten Erfahrung, aus dem etwas hätte werden können: „Ich habe mir so sehr gewünscht, dass Kritische Theorie und Systemtheorie zusammenarbeiten.“ Kluge geht es immer um die Überwindung von Grenzen, um deren Aufhebung im Erzählen selbst. Die Trennung von Objektivität und Subjektivität, so Kluge, existiere nur in den Fernsehanstalten.
Das Erzählen hingegen umfasse sämtliche Aspekte des Erfahrens, inklusive Konjunktiv und Optativ. Entscheidend sei es, die Brüche nicht zu kitten, sondern zuzulassen, darzustellen. Im Frühjahr hatte Thomas Meinecke seinen Plattenspieler dabei.
Alexander Kluge arbeitete mit Filmeinspielungen, in denen sein Konzept des Erzählens von Wirklichkeit anklang (und die noch dazu ziemlich komisch waren). Das Lineare der Ereignisse werde ergänzt durch vertikale Strukturen. Anders gesagt: Auf jedem beliebigen Moment der objektiv darstellbaren Zeitachse häufen sich subjektive Erfahrungen, die realitätsverändernd wirken. Im Umgang mit diesen Erfahrungen fordert Kluge Respekt und Sorgfalt. Am Ende trat dann in einem Auszug aus Kluges „Prime Time“ Helge Schneider als Sprengmeister auf. So darf es weitergehen.
Leser*innenkommentare
Phire
Gast
Ich war auf der Abschlussvorlesung in Frankfurt und habe darüber in meinem Blog geschrieben:
"Kluge erfindet neue Vergangenheiten, die wiederum neue Zukünfte produzieren. Ein zentraler Unterschied zur bloßen Dokumentation. Sein Anspruch besteht darin, die Kritische Theorie nicht wissenschaftlich, sondern erzählend fortzusetzen."
Hier gehts zum Text: http://ntropy.de/?p=3316
Dr. rer. Nat. Harald Wenk
Gast
Luhamnn war konversativ - explizit. Er hat auch ein ander Linie französoscher Epistomologie verfolgt, als den linken POSTMODERNEN NATURALISMUS, die zudem erheblich mehr lebensnahe Naturwissenschaft und Nietzsce einbringt. Luhmanns "unpolitische".
Das Ereignis wird in der anderen gleich doppelt ungleich besser behandelt. Als Kritik an Heideggers (Sartre!!) Fundamentalbegriff Ereignis und als fibrierte lineare Mannigfaltigkeit. Dort haben wir auch eine gleich vehemente Totalisierungskritik ("Gewalt des Zusammenhangs") - die fehlt bei Luhamnn.
Das Erzählem als "Sinn"stiften aus Lebensinteresse verweist auf die affektive Intellektualität als Kern der "Subjektivität", die keineswegs mit den Ich-Individuumsgrenzen zusammenfällt, sonden sozio-ontologisch ausfällt. Das sehe ich auch als recht "Adornonah".
Naja, die Vorlesungsreihe wird wohl irgendwann publiziert werden.
peter kloss
Gast
Kluge hatte vergessen G. Grass und den Euro eizufügen:Die Antike im Schwarm
Am 03.06.12 schrieb ich diesen Artikel, der zunächst nur zu lang an Worten war, da ich versuchte, ihn als einfachen Kommentar zu veröffentlichen.
Der Autor, auf den ich diesen Text beziehe (Ulrich Greiner), veröffentlichte in der ZEIT vom 31.05.12 , auf der ersten Seite "Die Antike in Ehren" einen Artikel, der die Frage stellte, ob den nun IWF – Chefin
Frau Lagarde ( die die Griechen bezüglich ihrer Steuerzahlungsunfähigkeit "beschimpfte") oder Günter Grass, der "dichterisch" das Gegenteilige tat,..... Ulrich Greiner beklagte den "nordeuropäischen Hochmut gegen den verlotterten Süden"......, und stellte die Frage, wer denn nun recht habe;
Inzwischen sagte der oberste Steuereintreiber Griechenlands, daß Madame Lagarde recht hatte!. Und nicht
Der Dichter und sein "alter" Freund Ulrich Greiner,
dem man zugute halten muß, daß er vor einiger Zeit die Feststellung traf, (sinngemäß) daß die Dichter und Philosophen eh nichts von Europa zu erwarten hätten.
Er erinnerte daran, daß die europäische Idee ihren Höhepunkt überschritten hätte..............und bemerkte Nietzsches und Platons "neoaristokratischen Gesellschaftsentwurf"........ und schließlich "ändert nichts da-
ran, daß Europa nie eine Einheit gewesen ist, und nie eine sein wird.".
Und so muß ich in verschärfter Art und Weise formulieren:.........................................................................
Ja, das ist jetzt möglich; ein sich als Obersozialarbeiter der deutschen Halb – Bildung Gebärdender, gibt uns mittels Grass den Hölderlin - ich bin sprachlos - , soll man hier noch weiter argumentieren, oder soll man das Seine sagen?.
Der Autor versucht also mittels eines Gedichts von Friedrich Hölderlin, eine Kohäsion ( Attika, die Heldin
ist gefallen; wo die alten Göttersöhne ruhn,......) bezüglich der aktuellen Asozialität der griechischen Ver-
hältnisse, verständlich in den Rahmen eines Zusammenhangs mit Günter Grass zu stellen,
der, was diese Belange anbetrifft, überhaupt gar nichts mit "griechischer Bildung" zu tun hat, oder ge-nau soviel wie der Autor dieses Artikels?.
(Vielleicht sollte der Eine oder Andere doch Heidegger und Nietzsche lesen, der als einer der Früheren
auf Ihn (Hölderlin) schon hingewiesen hatte)
Aber die Unverschämtheit des links – liberalen Bildungsbürgers, geht hinweg über die eigentliche Bedeutung Hölderlins und benutzt Ihn , wie schon die - damals durchaus legitim - angekränkelten
68iger, die Hölderlin als Erste in eine sozialistische Verschleifposition brachten (z. B. Erich Fried)....
geschieht das jetzt nicht schon wieder?.
Die Hölderlinsche Eigentlichkeit, besteht in etwas Ungeheuerlichem, dessen Kommunizierbarkeit gegen
Null tendiert, nämlich der Coincidentia – oppositorum, die nur wenigen zugänglich ist.
Und wir sollten ihn nicht mit dem Euro verschleudern.
Darauf sollte ein Schnaps getrunken werden, auf daß die Coincidentia – oppositorum Hölderlin´s eini-
germaßen begreifbar wird.
Ich stoße an auf Raymond Aron, Denis de Rougemont, T. S. Eliot, Giuseppe Ungaretti und Ignazio Si-
lone (Für die geheimen Geister – Fernando Pessoa).