Gewerkschaften in Afghanistan: Gemeinsam gegen die Korruption
Erstmals seit ihrem Verbot durch die Taliban versuchen die ehemals sozialistischen Gewerkschaften einen Neuanfang. Sie verbünden sich mit den Arbeitgebern gegen korrupte Behörden.
KABUL taz | Während die Welt sich auf den Rückzug der Isaf aus Afghanistan konzentriert und fürchtet, das Land werde erneut im Bürgerkrieg versinken, herrscht bei den Gewerkschaften des Landes Aufbruchstimmung. Denn die „Nationale Union der Afghanischen Arbeiter und Angestellten“ (Nuawe) reformiert sich.
Am 1. Mai sprach der neue Nuawe-Präsident Maruf Qadiri, seinen Funktionären Mut zu. „Wir werden die Arbeitsgesetze mitgestalten und die erdrückende soziale Ungerechtigkeit bekämpfen“, sagte Maruf Qadiri in Kabul.
Keine einfache Aufgabe. Offiziell sind in Afghanistan über 3 Millionen Menschen, rund 10 Prozent der Bevölkerung, erwerbslos. Und die Organisation wuchs während des sozialistischen Regimes mit den Herrschenden in Kabul zusammen. Dafür büßte sie im Krieg. Ihre damalige Nähe zur Macht diskreditiert sie in den Augen der Öffentlichkeit bis heute. Als 1996 die Taliban die Macht übernahmen, wurde gewerkschaftliche Arbeit verboten. Die Gotteskrieger glauben, islamisches Verhalten allein schaffe soziale Gerechtigkeit.
Erst unter Karsai durften sich Arbeitnehmer wieder organisieren
Erst seit dem Hamid Karsai Präsident ist, dürfen sich Arbeitnehmer wieder frei organisieren. Im Jahr 2010 ratifizierte Kabul die ILO-Verträge. Nuawe hat heute 100.000 Mitglieder und Büros in 22 der 34 afghanischen Provinzen.
Die Strukturen des Gewerkschaftsverbands, die damals mit Hilfe des FDGB der DDR geschaffen wurden, sind ebenso zerstört wie die Betriebe. Nun aber kommt ein wenig Leben in Afghanistans Wirtschaft und damit auch in die Gewerkschaften. „Die meisten Kollegen sind in den Agrar- und Bausektoren beschäftigt“, erklärt Qadiri. Der alte Mudschaheddin und sein Reformerteam konnten erst vor einigen Wochen die alte Führung ablösen und eine moderne Satzung durchsetzen.
Alle Kollegen sind in der Gewerkschaft
Die aktiven Mitglieder verfolgen die Schritte der neuen Führung aufmerksam – wie der 22-jährige Qais Khan. Er ist der wichtigste Mann in der Firma Maihandoost Oxygen im Kabuler Industriegebiet Pul-i Tscharhi, die Sauerstoff für industrielle und medizinische Anlagen produziert. Er allein steuert die gesamte Produktion, rennt zwischen mannshohen Gasflaschen herum und weist 21 Arbeiter an. Alle sind Mitglied bei Nuawe.
„Ich verdanke alles der Gewerkschaft“, sagt Khan. „Als ich zwölf Jahre alt war, musste mein Vater mich von der Schule nehmen, weil wir nicht genug Geld hatten. Dann setzte sich die Nuawe für mich ein und sorgte dafür, dass ich einen Ausbildungsplatz erhielt. Heute bilde ich selbst einen Lehrling aus.“
Lohnerhöhung und materielle Hilfen Dank Nuawe
Die Nuawe habe kürzlich mit dem Arbeitgeber eine Lohnerhöhung und materielle Hilfen ausgehandelt, erzählt Khan. Er glaubt, dass der Direktor der Firma die Belegschaft ohnehin gut behandelt. Ihr gemeinsames Problem sei die Regierung. Der Betrieb brauche ein Zertifikat, um mit ausländischen Firmen konkurrieren zu können. Die zuständigen Beamten legen sich aber quer. Deshalb seien die Firma vom Bankrott und die Belegschaft von der Arbeitslosigkeit bedroht. Nun kooperieren Arbeitgeber und Gewerkschaft, um die Behörden zur Zertifikaterteilung zu zwingen.
Solche guten Beziehungen wie bei Maihandoost Oxygen sind keine Ausnahme. In Afghanistan ziehen die Vertreter beider Gruppen noch an einem Strang. Denn die Korruption unterminiert die gesamte Wirtschaft. Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sind die Opfer.
Gewerkschaftsboss Qadiri empfängt die Mitglieder aus den Provinzen unter dem Bild von Staatspräsident Karsai. Demnächst will der neue Arbeiterführer selbst in die Provinzen reisen, „überall Seminare organisieren, den Mitgliedern erklären, was ihre Rechte sind und wie sie darum kämpfen können“.
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