Brechmittel-Urteil erneut aufgehoben: „Fast grotesk falsch"
Zum zweiten Mal hat der Bundesgerichtshof den Freispruch für einen Polizeiarzt aufgehoben, der einen Afrikaner ertränkte. Der Fall muss noch einmal vollständig aufgerollt werden.

Bereits zweimal falsch freigesprochen: Der angeklagte Polizeiarzt (l.). Bild: dpa
BREMEN taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erneut den Freispruch des Polizeiarztes aufgehoben, der für den Tod des Afrikaners Laya Condé verantwortlich ist. Im Dezember 2004 hatte er dem aus Sierra Leone stammenden Mann ein Brechmittel und Wasser eingeflößt, um ihn zum Erbrechen verschluckter Drogen zu bringen. Der Mann überlebte die Tortur nicht: Während der so genannten „Exkorporation“ war er ins Koma gefallen und starb einige Tage später im Krankenhaus.
„Tod durch Ertrinken“, diagnostizierten die Ärzte – das Wasser, das ihm der Arzt per Nasensonde eingeflößt hatte, war in Condés Lunge gelaufen. In einem ersten Prozess war der Arzt 2008 vom Bremer Landgericht freigesprochen worden, bereits dieses Urteil hatte der BGH aufgehoben.
Auch bei der Neuauflage des Verfahrens gab es vergangenes Jahr einen Freispruch, wieder beantragten die Anwältinnen von Laya Condés Mutter, das Urteil aufzuheben und den Fall zur Neuverhandlung zurückzuverweisen. Sie erklärten den Bundesrichtern, die Bremer Schwurgerichtskammer habe nicht ausreichend geprüft, ob der Arzt den Mann ausführlich über die Risiken der Prozedur aufgeklärt habe. Dann hätte Condé das Brechmittel vielleicht freiwillig genommen.
Bereits im Dezember 2001 ist in Hamburg der 19-jährige Kameruner Achimedes J. an den Folgen der zwangsweisen Verabreichung eines Brechmittels gestorben. Der damalige Innensenator Olaf
Scholz (SPD) hielt dennoch an der Brechmittelvergabe fest.
Erst nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Einsatz von Brechmitteln für menschenrechtswidrig erklärte, wurde 2006 die zwangsweise Vergabe von Vomitiva in Deutschland eingestellt.
So aber wurde Condé nach seiner Festnahme an der Sielwallkreuzung erst das Brechmittel Ipecacuanha über eine Nasensonde eingeflößt und danach große Mengen Wasser, um den Brechreiz weiter zu fördern. Nachdem Condé ohnmächtig war, rief der Polizeiarzt den Notarzt, der ihn wieder stabilisierte. Obwohl der Festgenommene danach bereits ein paar der verschluckten Kokainkügelchen ausgespuckt hatte, flößte ihm der Arzt weiterhin Wasser ein. Die Folge: Atemstillstand. Condé wurde ins St.-Joseph-Stift eingeliefert, als er bereits hirntot war.
Mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen
Als Folge der „Komplikationen“ setzte der damalige Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln in Bremen „bis auf weiteres“ aus, entschuldigte das Vorgehen allerdings damit, dass „Schwerstkriminelle“ mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen müssten. Die „körperlichen Nachteile“, die Laya Condé erleiden musste, mündeten, zwei Tage nach den Worten Röwekamps, in seinen Tod.
Sowohl Condés Angehörige als auch Bremer BürgerInnen forderten den Rücktritt des Innensenators und erstatten Anzeige gegen ihn, erst wegen übler Nachrede, dann wegen fahrlässiger Tötung. Beide Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft rasch ein. Auch ein Misstrauensantrag der Grünen scheiterte bei der Abstimmung in der Bürgerschaft. Acht Abgeordnete der großen Koalition aus SPD und CDU stimmten mit den Grünen und der FDP gegen Röwekamp, der bis 2007 im Amt blieb.
Knapp einen Monat nach der Verhaftung Condés entschied der Koalitionsausschuss der Landesregierung, zukünftig auf die zwangsweise Brechmittelvergabe zu verzichten. Ersetzt wurde sie durch die so genannte „Beweissicherungshaft“ gegen mutmaßliche Drogenhändler: In Gefängniszellen mit speziellen Toiletten sitzen die Verdächtigen so lange, bis etwaige verschluckte Drogenpäckchen auf natürlichem Wege ausgeschieden werden.
Vier Jahre nach dem Tod des 35-Jährigen sprach das Bremer Landgericht den Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei: Er habe zwar „objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht“ verstoßen, dies jedoch „aufgrund mangelnder Ausbildung und Erfahrung mit Brechmittelvergaben subjektiv nicht erkennen“ können. Nachdem der BGH den Freispruch wieder aufgehoben hatte, befand das Landgericht in einem erneuten Urteil, die Todesursache des Afrikaners könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden – und sprach den Arzt wieder frei.
Der BGH bezeichnete diesen Freispruch gestern als „fast grotesk falsch“. Der Fall muss nun an einer anderen Kammer des Bremer Landgerichts noch einmal vollständig aufgerollt werden. Damit kann Laya Condés Mutter erneut gegen den Mann klagen, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist. (mit Material von dpa und dapd)
Leser*innenkommentare
Der, dem das Kinn auf den Tisch fiel.
Gast
[...] sprach das Bremer Landgericht den Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei: Er habe zwar „objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht“ verstoßen, dies jedoch „aufgrund mangelnder Ausbildung und Erfahrung mit Brechmittelvergaben subjektiv nicht erkennen“ können.
Wie bitte? Er wusste nicht, was er tat, als er ihn tötete? Wenn das nicht fahrlässig ist, was denn dann! Vielleicht sehe ich das etwas zu pragmatisch. Aber entweder das Verfahren ist so riskant, das die Anordnung schon einer Tötung gleichkommt, oder der Arzt hat gesundheitliche Folgen in Kauf genommen. Normalerweise wird man direkt in ein Krankenhaus eingeliefert, wenn man ins Koma gefallen ist. Allein aufgrund der Möglichkeit, dass eines der Päckchen aufgebrochen ist und es zu einer „Überdosis“ kam.
Tupamaro
Gast
Mit türkischen Zuhältern
und afrikanischen Drogendealern
solidarisch gegen Ausgrenzung und Rassismus!
Hasta la victoria siempre!