CSD in Berlin: Russen auf der Bank
Jenseits von „Toleranz“ und „Akzeptanz“ und „Difference“: Wie man sich beim Christopher Street Day in Berlin plötzlich in der Zukunft wiederfindet.
Fup steuert wieder einmal zielstrebig den Ort der Armut an, das Kottbusser Tor, und auf was treffen wir da? Auf bunte und sehr geschminkte Menschen und große Lastwagen und Busse. Gleich der erste Schwertransporter gibt mir zu denken, denn da steht groß „Dildoking“ drauf und darunter auch sehr groß „Wissen schafft Akzeptanz“.
Auf einem der vielen Plakate mit einem dieser Männer mit freiem Oberkörper und Waschbrettbauch, wo der Mann die Hände hinter dem Kopf verschränkt, steht, was das alles bedeutet: „Die CSD Hauptstadt Party 2013“. 2013? Wieso sind mir die Christlich Sozialen Demokraten um ein ganzes Jahr voraus?
Auf einem anderen Transporter steht „Toleranz“ und „Akzeptanz“ – darüber eine Menge roter Luftballons. Nicht nur „Dildoking“ ist hier vertreten, sondern auch die Arbeitsgruppe Queer Treptow-Köpenick, die FDP, die für „Freiheit ist Liebe“ in den Farben der Partei eintritt, die Daimler Financial Services, die „Know the Difference“, die Lufthansa, die www.vorspiel-berlin.de, die Linke, die CDU, bzw. die mir bis dahin unbekannte Untergruppierung LSU (Lesben und Schwule in der Union).
Fup findet das alles sehr interessant. Ich auch. Er fährt die Parade ab. Ein Mädchen in ganz wenig schwarzer Spitzenseide sagt zu einem anderen Mädchen, das auch nur wenig schwarze Spitzenseide anhat: „Sagt mein Vater zu mir, warum gehst du denn schon so früh, du hast doch sowieso kaum was an.“ Ich bin immer wieder überrascht, dass sich Mädchen über ihre Väter unterhalten.
Eine Gruppe junges Gemüse mit Babyspeck, Netzstrümpfen, weißen Hemden, Schlipsen und Hüten, hat sich zu einem Gruppenfoto aufgestellt. Ein junger Mann, der so aussieht wie auf den Plakaten, hat eine Digitalkamera und sagt: „So Mädels, jetzt zeigt mal Bein.“ Dabei geht mehr Bein eigentlich nicht. Als er das Foto geknipst hat, sagt er: „Hach, da kann ich aber heute Nacht nicht schlafen.“
Wir kommen an zwei Russen vorbei, die auf einer Bank ihr Lager aufgeschlagen haben und sich auf Russisch Witze erzählen. Vor der Bank liegt eine Matratze, und darauf schläft noch jemand. Daneben haben die beiden Russen einen Einkaufswagen hingestellt und daran ein Pappschild befestigt, auf dem mit Hand gekritzelt steht: „Bierflaschen hier“.
Na wenigstens mal was anderes als „Toleranz“ und „Akzeptanz“ und „Difference“ und all das andere Zeug, für das man nicht mal Flaschenpfand kriegt, denke ich.
Leser*innenkommentare
Tunte
Gast
@chesterfield
Da gebe ich Ihnen recht, die meisten wissen nicht (mehr), was CSD bedeutet, vor allem diejenigen, die jedes Jahr diesen "schwulen Karneval" inszenieren.
Aber Tuntenparty? Das ist eine Beleidigung für jede aufrechte Tunte...
Chesterfield
Gast
Leider ist der CSD inzwischen zur reinen Tuntenparty
verkommen.An die verprügelten und gehetzten Schwulen,denen der Tag gewidmet sein sollte,denkt niemand mehr.Die meisten wissen überhaupt nicht,woher der Name überhaupt kommt.
Quarteerant
Gast
Sie haben aber eine sehr selektive Wahrnehmung. Zwei Russen mit Bierflaschen zu finden und gleichzeitg eine große politische russischsprachige Gruppe zu übersehen... Ob das nicht was mit rassistischen Stereotypen zu tun hat, die von der taz oft kritisiert werden?
alabasta
Gast
...auch wenn der CSD streckenweise als oberflächliche Party daherkommt, sollte man die Aussagen der kleinen Gruppen oder Einzelkämpfer nicht unter den Tisch fallen lassen. So mancher Artikel der sog. bürgerlich-liberalen Presse (http://www.tagesspiegel.de/meinung/homosexualitaet-in-der-oeffentlichkeit-das-letzte-outing/6791160.html)und einige online-Leserkommentare zum Thema CSD zeigen: Der CSD ist bitter nötig...