Die Wahrheit: Ab in die Bungee-Tiefe
Fußball hin, Halbfinale her – am Dienstag fand ein großes Jubiläum statt. Ein Gedenktag, damit die wahren Heldentaten der Menschheit nicht in Vergessenheit geraten.
F ußball hin, Halbfinale her – am Dienstag fand ein großes Jubiläum statt. Ein Gedenktag, damit die wahren Heldentaten der Menschheit nicht in Vergessenheit geraten. Denn vor einem Vierteljahrhundert erschütterte ein Schrei Europa, der noch immer nachhallt. Erstmals stürzte sich ein Bungee-Springer vom Eiffelturm.
Der da am Seil baumelte, war Alan John „AJ“ Hackett. Der gut abgehangene Tausendsassa ist für Neuseeland und den Extremsport das, was Reinhold Messner für Tirol und die Yeti-Jagd ist: eine Ikone, von übermäßiger Adrenalinausschüttung gezeichnet. Testosteronbrüder im Geiste: Den einen zog’s in die Höhe, den anderen in die Tiefe.
Hackett, der antipodische Pionier des kommerzialisierten Wahnsinns, hatte sich von Südseeinsulanern in Vanuatu inspirieren lassen, die an Lianen gebunden von wackeligen Türmen springen. Zum Glück hielt er sich von einer anderen vanuatischen Tradition, dem berauschenden Kava-Trinken, fern. Sonst hätte Hackett seitdem den Extremsport Kaving exzessiv betrieben und nur breit in der pazifischen Sonne gelegen. Was er mittlerweile hoffentlich tut, denn der Bungee-Mann hat längst ausgesorgt.
Was AJ Hackett und seine Mannen für den großen Eiffelsprung am 26. Juni 1987 ausheckten, stellt „Ocean’s Eleven“ an Konspiration in den Schatten. Wochenlang hatte die Bungee-Crew den Turm ausspioniert, Kameras platziert, die Ausrüstung nach oben geschmuggelt. Im Morgengrauen ließ sich Hackett dann verknoten. Die exakte Länge des Seils war mit Angelschnur gemessen worden. Als die Sonne über Paris aufging und die Polizei am Boden mitbekam, was vor sich ging, spazierte AJ in die Luft. „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein verdammt großer Sprung für den Abenteuertourismus“, beschreibt er es flott in seinen eigenen Worten. „Jeden Tag sollte man sich daran erinnern, das man noch lebt.“
Wir wissen alle, was dann passierte. Auf jeder Kirmes im Rheinland, auf jedem besseren Parkplatz zwischen Polarkreis und Dubai stand fortan ein Kran mit Gummiseil. Es wurde gesprungen und geschrien und gebaumelt, selbst aus Hubschraubern, dass es eine Zumutung war. Total überteuerter Schwachsinn – aber ach so geil, wenn man es denn doch tat. Ich bekam einen Freisprung vom Fernsehturm in Hamburg geschenkt und überwand mich in einem Anflug von Todesmut und Angeberei. Von so was zehrt man im Alter, wenn man es nicht mal vom Fünfmeterbrett geschafft hat.
Das ist alles lange vorbei, aber nicht in Queenstown auf der Südinsel Neuseelands: Von dort aus hat das AJ-Hackett-Imperium die Welt erobert. Einen Bungee-Tempel haben sie dort errichtet, mit wummernden Beats und athletischem Personal. Noch immer wird dort von der Brücke über der Kawarau-Schlucht im Minutentakt gesprungen, als gäbe es keine Schwerkraft. Unten im Fluss liegen viele Schlüsselbunde, aus all den Hosentaschen. Wenn vorbeifahrende Touristen glotzen, karambolieren sie oft in ihren Wohnmobilen und erinnern sich daran, dass man noch lebt.
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