„Spiegel“-Zerrbild

POLITIK Das Nachrichtenmagazin plauderte aus einem Hintergrundgespräch mit Andreas Voßkuhle

Bekanntlich kommt es weniger darauf an, was jemand sagt, sondern vielmehr, wer es tut. Das ist auch so im jüngsten Streit über einen Spiegel-Artikel. Am Dienstag rügte die Bundespressekonferenz, also der Verein der Berliner Hauptstadtkorrespondenten, den Text „Merkels Chef“.

Der Bericht über das Verhältnis zwischen CDU und Bundesverfassungsgericht erwähnt auch ein Hintergrundgespräch von Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle mit Mitgliedern der Bundespressekonferenz. Über mehrere Absätze raunen die Autoren, nichts dürfe aus solchen Hintergründen an die Öffentlichkeit dringen, um schließlich zu schreiben: „Nur so viel: Ähnlich wie bei seinen Auftritten zuvor blieb den Zuhörern der Eindruck, dass Karlsruhe im Frühsommer das Ehegattensplitting auf die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ausdehnen dürfte.“ Die Bundespressekonferenz rügte diese Passage: Vertrauliches müsse vertraulich bleiben. Das Blatt bezeichnete die Rüge prompt als „absurd“.

Hätte das Blatt Voßkuhles Offenbarung, die eigentlich keine ist, weil der Verfassungsrichter nichts Neues sagte, nicht mit großer Geste angekündigt, wäre sie wohl niemandem aufgefallen. Die Haltung der Verfassungsrichter ist ein offenes Geheimnis. Auch in Karlsruhe spricht Voßkuhle mit Journalisten.

Doch die Hauptstadtredaktion des Spiegel ist im Umbruch, viele Posten wurden vor Kurzem neu besetzt. Nun ist ihr Ruf, ganz nah dran am Politgeschehen zu sein, angekratzt. Da kommt es gelegen, Nähe zumindest zu suggerieren. Erst dieses Aufbauschen einer Nichtinformation hat die Bundespressekonferenz zur Rüge genötigt.

Ändern wird die Schelte aber nichts. Der Spiegel bleibt für viele Journalisten ein sogenanntes Leitmedium. Selbst dann, wenn er, wie in dieser Woche, enthüllt, dass zu viel Salz, Zucker und Fett ungesund sind. MATTHIAS LOHRE