„Die Germanen sind eine Erfindung“

GESCHICHTSBILDER Warum man sich vor der ethnischen Zuordnung archäologischer Funde hüten muss: „Graben für Germanien“, eine Ausstellung in Bremen, arbeitet die Frühgeschichtsforschung im Nationalsozialismus auf

■ 56, ist Professorin für Ur- und Frühgeschichte und leitet die Bremer Landesarchäologie und die frühgeschichtliche Abteilung des Bremer Landesmuseums. In ihrer Habilitationsschrift „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch“ thematisierte sie die Politisierung ihres Faches in der NS-Zeit.

■ Die von ihr initiierte und mitkuratierte Ausstellung „Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“ im Bremer Landesmuseum läuft vom 10. März bis zum 8. September. Ein umfangreicher Katalog erscheint im Theiss-Verlag.

INTERVIEW HENNING BLEYL

taz: Frau Halle, die Archäologie erlebte im nationalsozialistischen Deutschland einen nie da gewesenen Aufschwung. Warum interessierten sich die Nazis so sehr dafür?

Uta Halle: Weil sie die überlegene „Kulturhöhe“ eines angeblichen großgermanischen Reiches beweisen wollten. Ganz konkret diente die Archäologie zur Untermauerung von Gebietsansprüchen: In allen besetzten Ländern wurde umfangreich gegraben, inklusive der Plünderung frühgeschichtlicher Museumsbestände und des Einsatzes von Zwangsarbeitern.

Die Archäologen waren also die Nachhut der Wehrmacht?

Sie waren schon direkt an der Front. Es gibt Feldpostbriefe, die von Ausgrabungen in Gefechtspausen berichten.

Nun könnte man sagen: interessant, aber ein Randbereich.

Dann unterschätzt man die Relevanz, die das „Germanen“-Thema damals hatte. Auch in der aktuellen rechtsextremen Szene sind archäologische Artefakte ausgesprochen präsent. Viele Teilnehmer neonazistischer Aufmärsche tragen den Thorshammer. Man muss auch sehen, dass das in der NS-Zeit propagierte Bild der „Germanen“ heute noch Allgemeingut ist.

Waren die gar nicht so blond und muskulös und blauäugig?

Es gab sie so gar nicht. Die Begriffe „Germanen“ und „Germanien“ sind ein Konstrukt, eine römische Erfindung. Mit ihr wurde weitgehend willkürlich ein heterogenes Bevölkerungsgemisch im Norden bezeichnet, das man aus strategischen Gründen von den „Galliern“ abgrenzen wollte.

Aber warum stört es Sie, wenn man in der Kneipe einen Bierdeckel mit dem „Goldenen Germanen“ vorgesetzt bekommt?

Diese gut vermarktbaren Germanen-Klischees ermöglichen politisch problematische Anschlüsse, obwohl das den Verbreitern oft nicht bewusst ist. Wenn man muskelbepackte Kämpfer als Ahnen in Anspruch nimmt, transportiert das nicht nur ein spezifisches Männerbild. Es legt auch ein Überlegenheitsgefühl nah – bekanntlich ist Rassismus ein Phänomen aus der Mitte der Gesellschaft. Schon die Nationalsozialisten konnten sich auf eine seit dem 19. Jahrhundert verbreitete bürgerliche Germanen-Begeisterung stützen. Die „Herrmann-Schlacht“ galt als „Geburtsstunde der deutschen Nation“: Es sei eine „in der Universalgeschichte ausgemachte Thatsache“, schrieb 1880 einer der zahlreichen Heimatforscher, „dass im Teutoburger Wald die Germanen ihren Anspruch auf die Weltherrschaft besiegelten“.

Wie hat sich der Übergang von einer Heimatkunde-Euphorie zur rassistisch orientierten Archäologie vollzogen?

Das ist ein schleichender Übergang, der viel mit bewertenden Vergleichen und der Konstruktion eines Kulturgefälles zu tun hat. Die völkische Laienforschung bekam immer aggressivere nationalistische Untertöne. 1893 gab es bereits ein Treffen von 20.000 erklärten Antisemiten am Hermannsdenkmal.

SS-Chef Heinrich Himmler wurde schon von seinem Vater zum Scherbensammeln mitgenommen, bekannt ist auch die Germanen-Begeisterung der Völkischen um Alfred Rosenberg. Aber hat sich Hitler über die dauerpräsenten Lurenspieler nicht eher lustig gemacht?

Im Gegensatz zu Himmler und Rosenberg besuchte Hitler nicht ständig Ausgrabungen und archäologische Sonderschauen. Doch sein Interesse war spätestens dann geweckt, als die Germanen in Griechenland und Italien „ankamen“, als behauptet wurde, die von Hitler bewunderte Antike sei durch eine ältere germanische Hochkultur angestoßen. Für den Umbau Berlins zur „Welthauptstadt Germania“ hatte Hitler viele antike Versatzstücke vorgesehen.

Bis 1942 entstanden 24 archäologische Lehrstühle und zahlreiche Museumsabteilungen für Ur- und Frühgeschichte – zum Beispiel 1937 im Bremer Landesmuseum. Wie fühlt es sich an, wenn man die eigene Abteilung dem Nationalsozialismus „verdankt“?

Ich denke nicht täglich darüber nach – aber als ich 2008 meine Stelle in Bremen antrat, habe ich schnell festgestellt, dass diese Geschichte hier überhaupt noch nicht bearbeitet war. Das gilt allerdings auch andernorts.

Mit Ihrer Ausstellung „Graben für Germanien“ wollen Sie das Thema NS-Archäologie erstmals umfassend darstellen. War es schwierig, dafür Unterstützung zu bekommen?

Wir mussten bei null anfangen, haben es aber mithilfe der Kulturstiftung der Länder und des Kulturstaatsministers geschafft. Als wir unser Ausstellungsprojekt erstmals der Bremer Kulturbehörde vorstellten, wurde uns nahegelegt, als Erstes den Verfassungsschutz zu kontaktieren.

Weil Sie Scherben mit eingeritzten Hakenkreuzen zeigen?

Es geht um etwaige rechte Besucher …

die Sie dann über die Konstruiertheit des Germanen-Begriffs aufklären?

Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Wir schulen unser Personal, damit es rechte Dresscodes erkennt. Im Glauberger Keltenmuseum waren es allerdings Mitarbeiter der Aufsicht, die in SS-artigen Uniformen vor dem steinernen Keltenfürsten posierten.

Bei den Rechten beliebt sind auch die Externsteine bei Detmold.

Nicht nur bei den Rechten! 2002 warf mir der Spiegel in seiner Titelgeschichte über den „Sternenkult der Germanen“ vor, ich würde die dortigen Grabungsfunde im Keller des Lippischen Landesmuseums verstecken.

Haben Sie das?

Der Spiegel hat eine Verschwörungstheorie konstruiert, nach der die Funde verborgen gehalten werden, damit sie nicht die Bedeutung der Externsteine als germanisches Heiligtum beweisen können. Die beliebte Vorstellung ist ja, dass im ersten vorchristlichen Jahrhundert germanische Priester auf den Steinen saßen und Sterne beobachteten. Nur lässt sich das nicht nachweisen. Kein Archäologe bezweifelt, dass die dort gefundenen Scherben und Brandspuren aus dem Mittelalter stammen. Trotzdem begeisterte sich der Spiegel für die Vorstellung, dass „in Ur-Germanien kleine Einsteins lebten“.

Arbeiteten die NS-Archäologen handwerklich korrekt?

In der Regel wohl schon. Es gab auch große Fortschritte durch Luftbild-Archäologie und die beginnende Dendrochronologie.

Wurden die so gewonnenen Befunde „nur“ ideologisch manipuliert oder gab es auch unmittelbare Fälschungen?

Statt direkter Fälschungen wurde „Germanien“ zeitlich und räumlich immer weiter gedehnt, bis das gesamte Hochmittelalter als germanisch galt.

Eine der spektakulärsten NS-Grabungen fand in der unter „germanisch“ subsumierten Wikingersiedlung Haithabu statt. Warum taucht die nicht in Ihrer Ausstellung auf?

Leider haben wir aus Schleswig keine Leihobjekte bekommen. Mein dortiger Kollege möchte keine Verknüpfung des heutigem Images von Haithabu mit der NS-Geschichte.

Die ideologische Inanspruchnahme von Archäologie gab es nicht nur im Dritten Reich. Ist Ihre Wissenschaft besonders anfällig für politische Instrumentalisierung?

Unsere Quellen sind stumm, ihre Interpretationsbedürftigkeit ist das Einfallstor für ideologische Prämissen. Denken Sie nur an das ehemalige Jugoslawien oder den Grenzstreit zwischen Griechenland und Mazedonien: Überall werden archäologische Funde als „Beweise“ für Gebietsansprüche herangezogen. Eigentlich ist sich die Fachwelt einig, dass man sich vor der ethnischen Zuordnung archäologischer Funde hüten muss. Auf der Scherbe steht nicht drauf: Mich hat ein Franke gemacht. Trotzdem werden solche Zuschreibungen immer wieder vorgenommen.