Kommentar Appell Wirtschaftsprofessoren: Politischer Muntermacher
Der Appell der 172 Wirtschaftsprofessoren ist ein wichtiger Schritt der ökonomischen Alphabetisierung. Das Papier ist ein Beitrag zur Aufklärung.
M an muss den Aufruf der 172 Wirtschaftsprofessoren, in dem diese Front gegen die Beschlüsse des jüngsten Brüsseler Eurogipfels machen, keinesfalls gut finden, um trotzdem zu konstatieren: Vielleicht brauchte es gerade diesen öffentlichkeitswirksamen Rückfall in die „Stammtisch-Ökonomie“, damit die Debatte über den Kurs der Eurorettung ein bisschen vorankommt. Wenn man so will, ist das Papier und was darauf folgte, ein Beitrag zur Aufklärung.
Die Diskussion über den Appell hat es immerhin vermocht, etwas noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, was man sonst ja gern schnell wieder vergisst in Zeiten der galoppierenden Krise: die Brüsseler Gipfelergebnisse. Dass über diese nun noch einmal in einer Weise debattiert wird, die auch für breitere Kreise verständlicher ist, wird man kaum einen Nachteil nennen wollen. Wer noch die Regierungserklärung von Angela Merkel zu den Gipfelergebnissen in Erinnerung hat, in der diese passagenweise in einer Art Geheimsprache gar nicht erst versuchte, vor der „Volksvertretung“ so zu reden, dass man es auch kapiert, kann sich sogar über eine etwas zu sehr vereinfachende Ökonomen-Debatte freuen.
Außerdem erhellt die Diskussion über den Appell auch die Stellungslage auf dem politischen Feld, auf dem die volkswirtschaftlichen Wahrheiten hin und her getragen werden: Da springt die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht dem neoliberalen Talkshowprofessor Hans-Werner Sinn bei; da unterschreibt den Anti-Merkel-Aufruf auch der Vorsitzende des Wissenschaftlerbeirats von Wolfgang Schäuble, während der Finanzminister selbst von einer „Verwirrung der Öffentlichkeit“ spricht. Und im Gegen-Aufruf, der inzwischen auch erschienen ist, rücken plötzlich Wirtschaftsexperten zusammen, die sonst in zentralen Fragen gegensätzliche Auffassungen vertreten.
ist Redakteur im Meinungsressort der taz.
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Der Appell der deutschsprachigen Top-Ökonomen wurde am Donnerstag von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffntlicht. Sie rufen die Bevölkerung auf, die aus ihrer Sicht falschen Beschlüsse des letzten EU-Gipfels nicht mitzutragen, da deutsche Steuerzahler sonst für ausländische Banken mithaften müssten. (dpa)
Und schließlich kann der Appell der 172 noch etwas erreichen: Mit dem Offenen Brief ist die Schlagseite einer bestimmten Form der Euro-Kritik zum Thema in den Abendnachrichten geworden. Das ist von der öffentlichen Wirkung vielleicht mehr, als bisher die Warnungen vor nationalistischen Klischees in der Krisendebatte vermochten.
So richtig der Vorwurf in dem Gegen-Brief von Gustav Horn, Michael Hüther und anderen ist, dass der Appell „insbesondere Ängste und Emotionen vor einer Bankenunion“ schürt und das Ressentiment gegen die Wall-Street und die City of London mobilisiert, die nun auf Kosten „der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen", so sehr ist der Aufschrei darüber schon ein wichtiger Schritt der ökonomischen Alphabetisierung. Das „Schreckgespenst“, das Hans-Werner Sinn und andere in Umlauf gebracht haben, wird so zum politischen Muntermacher – gegen die Intention seiner Urheber.
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