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Kommentar Appell WirtschaftsprofessorenPolitischer Muntermacher

Kommentar von Tom Strohschneider

Der Appell der 172 Wirtschaftsprofessoren ist ein wichtiger Schritt der ökonomischen Alphabetisierung. Das Papier ist ein Beitrag zur Aufklärung.

M an muss den Aufruf der 172 Wirtschaftsprofessoren, in dem diese Front gegen die Beschlüsse des jüngsten Brüsseler Eurogipfels machen, keinesfalls gut finden, um trotzdem zu konstatieren: Vielleicht brauchte es gerade diesen öffentlichkeitswirksamen Rückfall in die „Stammtisch-Ökonomie“, damit die Debatte über den Kurs der Eurorettung ein bisschen vorankommt. Wenn man so will, ist das Papier und was darauf folgte, ein Beitrag zur Aufklärung.

Die Diskussion über den Appell hat es immerhin vermocht, etwas noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, was man sonst ja gern schnell wieder vergisst in Zeiten der galoppierenden Krise: die Brüsseler Gipfelergebnisse. Dass über diese nun noch einmal in einer Weise debattiert wird, die auch für breitere Kreise verständlicher ist, wird man kaum einen Nachteil nennen wollen. Wer noch die Regierungserklärung von Angela Merkel zu den Gipfelergebnissen in Erinnerung hat, in der diese passagenweise in einer Art Geheimsprache gar nicht erst versuchte, vor der „Volksvertretung“ so zu reden, dass man es auch kapiert, kann sich sogar über eine etwas zu sehr vereinfachende Ökonomen-Debatte freuen.

Außerdem erhellt die Diskussion über den Appell auch die Stellungslage auf dem politischen Feld, auf dem die volkswirtschaftlichen Wahrheiten hin und her getragen werden: Da springt die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht dem neoliberalen Talkshowprofessor Hans-Werner Sinn bei; da unterschreibt den Anti-Merkel-Aufruf auch der Vorsitzende des Wissenschaftlerbeirats von Wolfgang Schäuble, während der Finanzminister selbst von einer „Verwirrung der Öffentlichkeit“ spricht. Und im Gegen-Aufruf, der inzwischen auch erschienen ist, rücken plötzlich Wirtschaftsexperten zusammen, die sonst in zentralen Fragen gegensätzliche Auffassungen vertreten.

Tom Strohschneider

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

***

Der Appell der deutschsprachigen Top-Ökonomen wurde am Donnerstag von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffntlicht. Sie rufen die Bevölkerung auf, die aus ihrer Sicht falschen Beschlüsse des letzten EU-Gipfels nicht mitzutragen, da deutsche Steuerzahler sonst für ausländische Banken mithaften müssten. (dpa)

Und schließlich kann der Appell der 172 noch etwas erreichen: Mit dem Offenen Brief ist die Schlagseite einer bestimmten Form der Euro-Kritik zum Thema in den Abendnachrichten geworden. Das ist von der öffentlichen Wirkung vielleicht mehr, als bisher die Warnungen vor nationalistischen Klischees in der Krisendebatte vermochten.

So richtig der Vorwurf in dem Gegen-Brief von Gustav Horn, Michael Hüther und anderen ist, dass der Appell „insbesondere Ängste und Emotionen vor einer Bankenunion“ schürt und das Ressentiment gegen die Wall-Street und die City of London mobilisiert, die nun auf Kosten „der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen", so sehr ist der Aufschrei darüber schon ein wichtiger Schritt der ökonomischen Alphabetisierung. Das „Schreckgespenst“, das Hans-Werner Sinn und andere in Umlauf gebracht haben, wird so zum politischen Muntermacher – gegen die Intention seiner Urheber.

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5 Kommentare

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  • S
    strooker

    Diskussion ist gut - aber leider in diesem Fall ebenso erfolglos wie es bisher die politische Diskussion war. Es gibt (mindestens) zwei Lager in den Wirtschaftswissenschaft und beide Lager haben Fakten, die für ihre Position sprechen. Beide Anzeigen der Lager waren beweisfrei - konnten aber nachvollzogen werden.

     

    Worauf läuft das hinaus? Zum einen auf die Abwertung der Wirtschaftswissenschaften, die in Zukunft weitaus weniger als Wissenschaft wahrgenommen werden. Zum zweiten darauf, dass einfach eine Entscheidung getroffen werden muss. Dies hätte natürlich schon längst geschehen sollen, um Handlungsfähugkeit (auch bei völliger Ahnungslosigkeit) zu demonstrieren. Diese Initiative hat aber bisher gefehlt, wodurch die Märkte zutiefst verunsichert und verärgert(!) wurden.

     

    Vielleicht erzwingt dieser Vorstoß nun zumindest die Entscheidung, auch wenn der Schuss für Sinn & Co. GmbH :) natürlich nach hinten losgehen kann. Allerdings sollte niemand die legendäre Entscheidungsvermeidungsfähigkeit von Fr. Merkel unterschätzen. Es wird jedenfalls interessant zu sehen wie Fr. Merkel sich entscheidet, wenn sie die siegreiche Seite noch nicht erkennen kann - sich aber entscheiden muss.

  • TS
    Thomas Sch.

    An meinem Stammtisch sitzen Journalisten, Musiker, Firmeninhaber, Programmierer, Diplom-Kaufleute, Verwaltungsfachleute und andere. Das ist nun also der typische "dumpfe" (das Wort kommt in dem Zusammenhang dann immer gern) Stammtisch, von dem hier die Rede ist. Was ist das denn für eine maßlose Unterstellung, die hier im Subtext eingeschoben wird ? Der Stammtisch wird hier also quasi als rechte Veranstaltung bezeichnet ? Hallo ? Ich hätte nicht schlecht Lust, Herr Strohschneider, Sie wegen übler Nachrede zu verklagen. Ist das so Ihre Methode, eine vom linken Mainstream abweichende Meinung mal eben gleich mit ´ner Hakenkreuzarmbinde zu kennzeichen, ja ? Welch´ Geistes Kind sind Sie denn ? Wenn Sie Ihren Beitrag, den Sie mit dem hehren Anspruch "Aufklärung" überschreiben, dann heißt das bittteschön aber auch, daß Sie nicht gleich eine große Gruppe als Dummbeutel diskreditieren, nur weil sie auch Zustimmung von falscher Seite bekommt. Ist die Zustimmung zur Frage des guten Wetters anders zu beurteilen, nur weil Radikale auch gutes Wetter bevorzugen ? Ob Herr Sinn nun rechthat oder nicht -ich glaube es-, aber seine Meinung als Schreckgespenst zu bezeichnen, ist doch ganz klar tendenziös. Und keine Aufklärung. Dann kennzeichnen Sie Ihren Beitrag bitte deutlicher. Zur Streitfrage an sich: Alle Eurobefürworter operieren gern immer mit so schönen Begriffen wie Solidarität, Freundschaft, gemeinsame Zukunft usw. Klingt nett, ist in seiner Aussage aber immer reichlich unklar, wenn es Fakten geht. Ist sicherlich auch Absicht. Die Eurogegner sprechen da gegen eine ganz andere, klare, leicht verständliche Sprache. Genau deshalb wird deswegen ja dann von gegnerischer Seite behauptet, daß wäre der Stammtisch -der dumpfe-. Und der könne das ja gar nicht verstehen, weil -hüstel,hüstel- das wären ja doch eh alles nur (dumpfe, also rechte) Deppen. Nein, nein, nein. So geht das nicht. Wenn mir die Eurogegner Vertragstexte (!) des ESM-Vertrages vorlegen (anstelle wolkiger Träume), in denen klipp und klar steht, wer ganz genau was in welcher Frist zu tun hat, dann ist das doch erstklassige Information, die ganz vorn mit dabei ist. Vertragstext contra Zukunftsvision ! Und -Vision hin oder her- ich will mich bei meinen recht geringen Einkünften nicht auch noch von höheren Steuern beuteln lassen. (Da ich übrigens schon 51 werde: Könnte ich Grieche werden und sofort dort Rente kriegen ?) Den Herren Volksverräter, oh, sorry, Volksvertreter wollte ich noch sagen, daß sie bei ihren astronomischen Bezügen natürlich entscheiden können, was sie wollen. Aber Vorsicht, meine Herren: Artikel 20 Absatz vier GG sagt mir eindeutig, daß ich das Recht (sic) zum Widerstand habe. Das Recht. Schon klar, daß Herr Schäuble so langsam Fahrtwind in der Hose spürt und von einer neuen Verfassung salbadert. Leute: Die nehem uns Recht und Gesetz und lachen uns auch noch ins Gesicht.

  • A
    aurorua

    Wenn selbst der "Käptn Ahab" des Neoliberalismus, Hans Werner Sinn, dieses Pamphlet gegen die Ausbeutung ganzer Nationalstaaten durch Banken und Finanzmärkte unterschreibt, würde ich sagen der Totalzusammenbruch von Euro und EU ist nur noch eine Frage der Zeit.

  • C
    Charlene

    Hmmm, das war jetzt aber ganz billige Polemik bei der taz. Man scheint hier vergessen zu haben, dass die 172 Ökonomen genau das einfordern, was auch das Bundesverfassungsgericht fordert: Eine umfassende Information und Debatte. Schließlich handelt es sich nicht um peanuts. Dass es dabei zu Kontroversen kommt, liegt in der Natur der Sache.

    Womit ihr hier recht habt: Die Kanzelerin hat in der "Debatte" vom 29. Juni keine vernünftige Auskunft über die Vorgänge in Brüssel erteilt. Kauder und Schäuble haben darüber hinaus dem Parlament das Märchen erzählt, was in der Nacht zuvor in Brüssel beschlossen worden sei, sei irrelevant. Abszustimmen sei nur über das vorliegende Papier, das aber auch nicht auf dem aktuellsten Stand war.

    Die Aufgabe der Presse hätte darin bestanden, den Auftrag des BVG ernst zu nehmen. Ihr seid es, die versagt haben: Die 4. Macht im Staat. Kein Wunder also, dass euch andere die Arbeit abnehmen müssen. Damit müsst ihr jetzt leben.

  • D
    D.J.

    Danke, Herr Strohschneider, für diesen sachlichen Kommentar! Ein Lichtblick in der gegenwärtigen Krise, die nicht nur eine politische und ökonomische ist, sondern auch ein Offenbarungseid unserer Medien.