DIE WAHRHEIT: Schland den fetten Beat

Olympia 2012: Die deutsche Nationalhymne wird runderneuert.

„Es ist eine Revolution, die dieses Land zum Positiven verändern wird“, betont Prof. Dr. Gerd Kotschenreuter. An diesem Tag spricht der Bielefelder, dessen seriös näselnder Tonfall jeden sofort in seinen Bann zieht, vor der versammelten Berliner Politprominenz und versucht sie von einer einzigartigen Idee zu überzeugen: Er will der Bundesrepublik eine neue, zeitgemäßere Hymne verpassen. Und bei den Olympischen Spielen in London wäre die erste Gelegenheit, der Weltöffentlichkeit das neue Werk darzubringen. Und was gibt es Schöneres als die Hymne, um von den Misserfolgen des deutschen Olympia-Teams abzulenken, wie man seit der Euro 2012 weiß.

„Wir alle wissen, wie der Text der aktuellen Hymne lautet, nicht wahr?“, fragt der habilitierte Musikpädagoge und summt die ersten Takte des Deutschlandlieds. Ein rascher Blick in die Runde der anwesenden Politiker zeigt ein gemischtes Bild. Viele nicken, einige blicken beschämt zu Boden. Anders als sonst liest keiner der Spitzenpolitiker an diesem Tag Zeitung oder spielt Sudoku auf dem Handy. Der Professor weiß, dass er sie am Wickel hat. Kotschenreuter kriegt sie alle, immer. Es ist seine Mission.

„Wir bauen Windräder, wir dämmen Häuser, nur die Nationalhymne passen wir nicht den neuen Gegebenheiten an“, umschreibt der westfälische Hymnen-Missionar in höchsten Tönen den Grund seiner ambitionierten Ansprache, zu der Bundespräsident Joachim Gauck ihn höchstpersönlich eingeladen hat. Die beiden haben sich auf einer Party im Schloss Bellevue kennengelernt. Kotschenreuter hatte als „DJ Kotsche“ in Gaucks Dubstep-Keller aufgelegt.

„Für den normalen Bürger ist die alte Hymne kaum noch vermittelbar“, erklärt der Kordsakkoträger mit Nachdruck. Dabei deutet er auf eine Powerpointfolie, die ein Beamer über die polierte Fastglatze des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert hinweg an die Rückwand projiziert. Als darauf das Konterfei von Sarah Connor erscheint, geht ein entsetztes Raunen durch den Saal. Auch heute noch, sieben Jahre nach Connors nationalem Totalausfall, schockt der Anblick der Delmenhorster Heulboje den gemeinen Volksvertreter zutiefst. „Brüh im Lichte dieses Glückes“, hallt es kurz durch die Hirne der Teilnehmer – wie damals, im Jahre 2005, als Sarah Connor vor dem Freundschaftsspiel zwischen Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft den Fantasietext zum Besten gab. „Dabei war es gar nicht ihre Schuld“, betont Kotschenreuter. „Die Schuld trägt der alte Fallersleben. Der hatte 1841 einfach zu viel Zeit und schlechtes Wetter“, mutmaßt der Bielefelder, der bis heute nicht nachvollziehen kann, wie von Fallersleben solch „miese Lyrics“ schreiben und dann auch noch auf die Melodie des Kaiserliedes legen konnte. „Viel zu staubig und schwer klingt das alles“, meint Kotschenreuter und fordert die anwesenden Politiker dazu auf, ihm spontan die Textzeile eines modernen Musikwerks zuzurufen: „Hölle, Hölle!“, brüllt Horst Seehofer, wie aus der Pistole geschossen. Einen Moment lang herrscht betretenes Schweigen. Dann rufen Gregor Gysi und Claudia Roth zeitgleich: „Hyper, hyper“. Kotschenreuter nickt zufrieden.

„Wir müssen die Sprache der Massen treffen. Was wir für unsere Hymne brauchen, ist mehr stille Größe und edle Einfalt: ’Schlaaand, Schlaaand, Schlaaand‘ – unterlegt mit ein paar satten, krassen Beats.“ Das könnten die meisten Jugendlichen heute problemlos behalten und aussprechen, ist sich Kotschenreuter sicher: „Sogar dann noch, wenn sie wie üblich hackedicht vom Komasaufen sind.“

Nur so, verspricht der Experte, würde sich für die Olympischen Spiele ein ähnlicher Faneffekt einstellen wie bei der Euro 2012 – inklusive Fernsehfanmeile, Bierseligkeit und schwarz-rot-goldener Vaterlandsliebelei. Bislang jedoch herrsche unter jungen Leuten noch der „Connor-Effekt“, die Angst vorm Versagen beim Singen der deutschen Nationalhymne.

Und dann schreitet Prof. Dr. Gerd Kotschenreuter an die Teller und haut ein paar superfette Grooves weg, dass es nur so scheppert und kracht im altehrwürdigen Reichstagsgebäude. Denn unter der Kappe, deren Schirm er jetzt in den Nacken gedreht hat, legt nun höchstpersönlich auf: Bielefelds größter lebender Beitrag zur Welt der populären Musik, der wahrhaft einzigartige, unvergleichliche und unverwechselbare DJ Kotsche: „Umpf, umpf, umpf, Schlaaand, Schlaaand, Schlaaand …“

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