Cut-up im Hinterkopf

Quio mischt Broken Beats mit Wortkaskaden, bei denen einem schwindelig werden kann – und zeigt ganz nebenbei, dass HipHop und experimentelle Elektronik mühelos zusammengehen. Ein Porträt

Bei aller Eingängigkeit der Musik teilt Quio von Beginn ankräftig aus

von TIM CASPAR BOEHME

Den Verkehrsteppich in der Tüte hat sie gerade im Spielzeugladen um die Ecke gekauft. Weithin leuchtet das Giftgrün, das als stilisierte Rasenfläche die grauen Fahrspuren einrahmt. Schließlich ist bald Weihnachten und Quio hat zwei Kinder, die beschenkt werden wollen. Ob der zweijährige Sohn oder doch lieber die dreieinhalbjährige Tochter zuerst an die Straßenverkehrsordnung herangeführt werden soll, steht für sie noch nicht fest. Erst mal abwarten und heiße Schokolade trinken. Und in dem Café, das die Musikerin als Treffpunkt für unser Gespräch ausgesucht hat, schmeckt sie besonders gut.

Quio wirkt gelassen, offen und überaus freundlich. Ihre scharf geschnittenen Züge geben ihr ein jungenhaft androgynes Aussehen. Von der „Diva“, als die sie sich selbst in einem ihrer Stücke bezeichnet, ist nichts zu spüren. Sie macht eher den Eindruck einer selbstbewussten Ironikerin, die sehr genau weiß, was sie tut und kann.

Ina Rotter kam 1991 von Bremen nach Berlin und ist seit 1997 unter anderem mit DJ Christine Lang als MC Looney Tunes in der Berliner Drum-&-Bass-Szene unterwegs. 1999 lernte sie Antye Greie kennen, die als Sängerin von Laub und als Clicks’n’Cuts-Elektronikerin unter dem Namen AGF bekannt wurde. Die beiden arbeiteten seitdem häufig zusammen.

Seit 2003 gibt es Rotter als Quio. Nach einer zweijährigen Babypause ist nun ihr Debütalbum „Like Oooh!“ auf Antye Greies Label AGF Producktion erschienen – und hat prompt einiges an internationaler Aufmerksamkeit geweckt. Ihre Songs laufen regelmäßig bei Radio DeeJay, dem größten privaten Radiosender Italiens. Als Nächstes steht eine größere Tour an, „denn mit dem Verkauf von Platten allein kann man heutzutage kein Geld mehr machen“.

Nach Pop, der für das große Geschäft produziert wurde, klingt Quios Musik ohnehin nicht. Selbst wenn einige Stücke mit Anleihen bei Garage oder Microhouse ziemlich geradlinig geraten sind, herrschen abgehackt-abstrakte Beats vor. Diese werden, wie die übrigen Klänge, sehr ökonomisch und präzise eingesetzt. Statt durchgehender Muster bestimmen Pausen und Variationen den Rhythmus. Hinzu kommt die unterkühlte Atmosphäre digitaler Computerklänge, die fast alle aus dem Laptop von AGF stammen. So entsteht eine äußerst trockene, leicht schräge Funkyness, passend zu Quios Stakkato-Rap.

Dass das Album zugleich warm klingt, liegt an der deutlichen Dominanz der Stimmen. Neben Raps gibt es reichlich mehrstimmige Gesangsparts, bei denen Quio von Antye Greie und der fünfzehnjährigen Sängerin Lise unterstützt wird. Zusammen mit den schroffen Beats und den übrigen Sounds entwickelt die Musik eine Zentrifugalkraft, bei der die einzelnen Elemente gerade so eben noch zusammengehalten werden.

Die verschiedenartigen Stilelemente des Albums, die nicht immer eindeutig zu sortieren sind, lassen eine gewisse Nähe zum britischen Grime erkennen. Dort mischt sich HipHop vor allem mit Elektro, Dub oder Rhythm-&-Blues-Gesang. Weil solche Referenzen auch in ihrer Musik auftauchen, ist Quio schon des Öfteren mit diesem Etikett versehen worden. Für sie steht aber fest: „Ich mache keinen Grime.“ Gegen dieses Label spricht vor allem der Sound ihres Albums: „Like Oooh!“ zeichnet sich durch eine spröde Zartheit aus, von der die meisten Grime-Produzenten vielleicht gar nicht wissen, dass es so etwas gibt.

Ihren Musikstil beschreibt Quio denn auch als „experimentelle Broken Beats“. Um ihrer Rolle als MC gerecht zu werden, müsste man wohl eher die Bezeichnung „Broken Beats & Spoken Words“ wählen. Damit wären zwar Assoziationen zu Jazz-Poetry und Beat-Literatur geweckt, aber im Grunde geht selbst das in Ordnung – schließlich will Quio ausdrücklich „missverstanden“ und „unernst genommen“ werden. Hier wird nicht polarisiert, nicht mit harten Statements um sich geschlagen – aber kann man mit einem solch leicht geschulterten Programm einen neuen, womöglich unverwechselbaren Style in Sachen HipHop entwickeln?

Tatsächlich kommen die Texte manchmal leicht wunderlich daher. Es sind weniger Geschichten, die sie erzählt, als Eindrücke oder Stimmungen, die mit den Stücken transportiert werden: „Ich schreibe die Texte sehr assoziativ, es geht mir nicht so sehr darum, dass man sie in einem Guss versteht.“ Vielleicht hat dies mit ihrer bisherigen Karriere als MC zu tun: Früher bestanden ihre Texte hauptsächlich aus „Rhymes“, die von ihr oft als Versatzstücke eingesetzt wurden und „wesentlich unstrukturierter“ waren als die Texte für Quio, die oft „mit einem ganz bestimmten Track im Hinterkopf“ entstanden sind.

Nicht selten geht es dabei um die eigene Biografie. In „Bah Fangoo!“, das sie zusammen mit dem Produzentenduo Audiotaxi gemacht hat, rechnet sie zum Beispiel „mit einem Idioten“ ab, für den es konkrete Vorbilder aus dem eigenen Umfeld gibt, wie sie sagt. Mit seiner fröhlich hoppelnden Orgel, den federnden Beats und einem unbedarft melodischen Refrain erinnert das Stück ein wenig an Cibo Matto oder Stereo Total. Im Kontrast zur kindlich anmutenden Eingängigkeit der Musik steht die Aggressivität, mit der sie gleich zu Beginn kräftig austeilt: „I draw my claws into your flesh, you see“.

Solche irritierenden Details, die nicht ins Gesamtbild passen, sind ein charakteristisches Merkmal für Quios Arbeitsweise. „Mich langweilt es oft, wenn im HipHop Geschichten einfach so erzählt werden. Ich finde es lustiger, wenn zum Beispiel in einem Stück ein Standard-Stil bedient wird und plötzlich ein einzelner Satz heraussticht, sodass man denkt: ‚Was ist das denn?‘“

Mit ihrer Herangehensweise liegt sie nicht eben im Trend. Sind es nicht gerade HipHop-Texte, die meist nur so von klaren oder eindeutigen Botschaften wimmeln? Auch deshalb empfiehlt Quio ihren Kollegen die „Cut-up-Technik“ als Gestaltungshilfe: „Ich denke, das würde vielen ganz gut tun, um ihren allzu eindeutigen Texten ein wenig Originalität einzuhauchen.“ Mangelnde Originalität kann man ihr jedenfalls nicht vorwerfen. Eher schon gibt es bei Quio reichlich Rätsel. Und die sind ja bekanntlich die Spitze an Sinn.

Quio: „Like Oooh!“ (AGF Producktion); heute Abend, 21 Uhr, tritt Quio mit 18th Dye und Tolcha beim „goon:soundcheck“ im Magnet Club, auf