In Zukunft nur noch grün: Politik im Zeichen des Bibers
Die Fraktion der Hamburger Grünen feiert diesen Samstag ihr 30-jähriges Jubiläum. Vom Handstand aus Freude bis zum öffentlichen Schwimmen in der Elbe ist viel passiert.
HAMBURG taz | Das Fest kommt etwas verspätet. Wenn Hamburgs Grüne am heutigen Samstag feiern, seit 30 Jahren ununterbrochen in der Hamburger Bürgerschaft zu sitzen, sind seit dem ersten Wahltriumph der Grün Alternativen Liste (GAL) bereits 30 Jahre, zwei Monate und 12 Tage ins Land gegangen. Am 6 Juni 1982 geben 73.404 HamburgerInnen der Listenverbindung ihre Stimme, bescheren ihr 7,7 Prozent und neun Bürgerschaftssitze und sorgen dafür, dass Thea Bock, ihre Spitzenkandidatin, auf der Wahlparty in der Hamburger Fabrik im Blitzlichtgewitter einen Handstand macht.
Es ist erst das dritte Mal, dass es den Grünen gelingt, bei einer Landtagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Und da CDU und SPD fast gleichauf liegen, ist es das erste Mal, dass die „Antipartei-Partei“ zur Regierungsbildung gebraucht wird, wenn nicht die Große Koalition regieren soll.
Fünf zähe Monate, die als „Hamburger Verhältnisse“ in die Geschichte eingehen, quälen sich SPD und GAL unter Führung von Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) durch Sondierungsgespräche, nach deren Scheitern es schließlich Neuwahlen geben wird.
Körperliches Unbehagen
Die Hamburger Sozialdemokraten zeigen schon körperliches Unbehagen, sich mit den Grünen überhaupt an einen Tisch zu setzen. Die versuchen ihrerseits, mit einem „Tolerierungsmodell“ die SPD am Nasenring durch die Manege zu führen. „Wir wählen Dohnanyi zum Bürgermeister, wenn ihr unsere Hauptforderungen erfüllt, bleiben sonst aber Opposition“, heißt die Idee, die bei der mehrheitslosen SPD auf wenig Gegenliebe stößt.
Hamburg gilt zu diesem Zeitpunkt als Hochburg der Linken innerhalb der Grünen. Entscheidende Fäden werden von Politikern wie Thomas Ebermann, Rainer Trampert oder Jürgen Reents, dem heutigen Chef des Neuen Deutschland gezogen, die auf eine gemeinsame Vergangenheit im Kommunistischen Bund (KB) zurückblicken können.
Eine verfeindete Fraktion des KB hat sich zudem in der Alternativen Liste (AL) organisiert und eine Konkurrenzkandidatur angedroht, die nach allen Umfragen dazu führen würde, dass weder Grüne noch AL ins Rathaus einziehen. Erst kurz vor der Wahl – im März 1982 – raufen sich die Streithähne zusammen und gründen die GAL, die Grün-Alternative Liste.
Statt der Sonnenblume wird ein Biber mit geballter Faust das Erkennungszeichen der Listenverbindung. Mit der Moorburgerin Thea Bock, einer Hafenerweiterungsgegnerin, präsentiert die neue GAL zudem eine Spitzenkandidatin, die nicht für Kommunistische Kaderarbeit, sondern für die Umwelt- und Bürgerinitiativbewegung steht.
Doch auch Bock kann nicht verhindern, dass die HamburgerInnen bei der Neuwahl, die Anfang 1983 nach dem rot-grünen Sondierungscrash notwendig wird, auf stabile Verhältnisse setzen. Sie bescheren der SPD überraschend die absolute Mehrheit. Thomas Ebermann verliert damit eine Wette und löst seinen Einsatz, in der Elbe zu baden, noch im Januar ein.
Immerhin dürfen Ebermann, Bock und sechs weitere Grün-Alternative auf den Oppositionsbänken des Hamburger Rathauses Platz nehmen. Die WählerInnen haben die GAL zwar abgestraft, mit 6,8 Prozent der Stimmen nicht aber aus dem Parlament verbannt. Vier Jahre später wird sich das Prozedere der gescheiterten rot-grünen Tolerierungsverhandlungen und anschließender Neuwahl samt grünem Stimmenverlust noch einmal wiederholen.
Die Oppositionsbänke bleiben fortan der Stammplatz der GAL-Abgeordneten. Zweimal aber dürfen einige von Ihnen auch auf der Senatsbank Platz nehmen. 1997 – 15 Jahre nach dem Einzug der GAL ins Rathaus – macht der Rücktritt von Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) noch am Wahlabend den Platz frei für ein rot-grünes Regierungsbündnis unter seinem Nachfolger Ortwin Runde (SPD).
Auch im Bund stehen die Zeichen längst auf Rot-Grün, der ausgehandelte Koalitionsvertrag findet bei der GAL-Mitgliedschaft breite Zustimmung. Krista Sager (Wissenschaft), Wilfried Maier (Stadtentwicklung) – die beide im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) politisch sozialisiert wurden – und Alexander Porschke (Umwelt) werden die ersten grünen SenatorInnen Hamburgs.
Doch das rot-grüne Bündnis trägt wenig Früchte. 2001 verliert die Koalition die Mehrheit, Runde und Sager müssen Platz für Ole von Beust (CDU) und Ronald Schill machen.
Sieben Jahre später ist es von Beust, der die GAL wieder in den Senat holt. Mit bundespolitischem Rückenwind in beiden Parteien soll erstmals auf Landesebene Schwarz-Grün ausprobiert werden. Um die GAL zu ködern, macht die CDU ihrem Juniorpartner Zugeständnisse beim Kohlekraftwerk Moorburg, der Stadtbahn und dem Umbau des Schulsystems. Doch die Gerichte und der von „Schulrebell“ Walter Scheuerl initiierte Volksentscheid sorgen dafür, dass die GAL schließlich mit fast leeren Händen dasteht.
Wenige Monate nach dem Rücktritt von von Beust beendet die GAL im November 2010 das Bündnis. Leitete das Ende von Rot-Grün 2001 eine zehnjährige CDU-Herrschaft im traditionell „roten Hamburg“ ein, so sorgt diesmal das Koalitionsende dafür, dass die SPD mit absoluter Mehrheit ihre oppositionelle Leidenszeit beendet und mit der GAL, die mäßige 11,2 Wahlprozente erhält, die Plätze tauscht.
Die Historie der GAL ist aber auch eine Geschichte der Spaltungen: Das 1987 gestartete Experiment einer reinen Frauenfraktion mündet nach ermüdenden Debatten über eine Kooperation mit der SPD und die politischen Konsequenzen der Wiedervereinigung im Frühjahr 1990 in die Gründung des realpolitisch orientierten „Grünen Forums“. Sechs der acht grünen Parlamentarierinnen schließen sich ihm an. Sie treten aus der GAL aus, behalten ihre Mandate aber für den Rest der Legislaturperiode. Nur die Gewissheit, dass bei der nächsten Bürgerschaftswahl beide grünen Gruppierungen scheitern würden, führt im Frühjahr 1991 zu ihrem Zusammenschluss.
Die FDPisierung der GAL
Acht Jahre später folgt die nächste Trennung. Nachdem die Bundesgrünen einem Militäreinsatz im Kosovo zugestimmt haben und sie auch in Hamburg eine „FDPisierung der GAL“ ausgemacht haben, verlassen fünf GalierInnen des linken Flügels die Partei und gründen die „Regenbogen-Gruppe“. Doch der Regenbogen verblasst nach nur zwei Jahren mit nur 1,7 Prozent der Wählerstimmen.
Als linke Systemopposition, durchsetzt mit ehemaligen Kadern kommunistischer Gruppen gestartet, als zerplatzter Testballon für eine schwarz-grüne Zukunft auf Bundesebene vorläufig abgestürzt – die Hamburger Grünen haben sich grundlegend gewandelt. „Die GAL von 2012 hat fast nichts mehr mit der GAL von 1982 gemein“, sagt etwa Norbert Hackbusch, der seit Anfang der Achtzigerjahre grüne Politik in Hamburg machte, bevor er über den Regenbogen zur Linkspartei stieß, für die er heute in der Bürgerschaft sitzt.
Als Verdienst der frühen GAL sieht Hackbusch, dass sie mit der Kritik an der Hafenerweiterung und den Atomkraftwerken rund um Hamburg „Themen erstmals in die politische Debatte gebracht hat, die andere dann aufgenommen und teilweise sogar umgesetzt haben“.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Antje Möller, seit gut zwanzig Jahren für die GAL aktiv, vermisst heute manchmal, dass ihre Partei „gesellschaftliche und ökonomische Mechanismen noch grundsätzlich hinterfragt“. Für die Zukunft wünscht sie sich wieder „mehr Mut zu unbequemen Thesen“.
Nur Fraktionschef Jens Kerstan, seit 1998 GAL-Mitglied zieht ein durchweg positives Fazit: „Ob aus der Opposition oder in der Regierungsbeteiligung, die GAL hat in Hamburg vieles bewegt, für die Umwelt, für die Bildung, für Bürgerrechte und für Minderheiten.“
Wenn am heutigen Samstag die GAL ihr Jubiläum feiert, wird sie ein weiteres Stück Tradition abstreifen. Der kämpferische Biber, der die GAL einst symbolisierte, nagt schon lange an den Brettern der Mottenkiste, das Kürzel „GAL“ wird am Samstag ebenfalls dort endgelagert. Die GAL hat beschlossen, sich in „Bündnis 90/Die Grünen“ umzubenennen. Das wird während des Festakts im Innenhof des Rathauses vollzogen werden. Das Selbstverständnis, eine grundsätzliche Alternative zu allem Herrschenden zu sein, wird damit nun auch aus dem Namen getilgt.
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