Die Achse des HipHop von Tobias Rapp
: Bruderzwist als Rapkonzept

Nichts wäre einfacher, als Tony und Teddy Mitchell zu Sprechern der afrobritischen Diskriminierungserfahrung zu machen – haben sie mit „Routine Check“ nicht einen veritablen Hit auf ihrem Debütalbum „A Breath Of Fresh Attire“, der sich den rassistischen Vorurteilen der Londoner Polizei widmet?

Tatsächlich geht es aber nicht auf. Nicht nur deshalb, weil das Stück wirkt, als hätten die Mitchell Brothers es vor allem deshalb aufgenommen, weil sich mit dem Terminus „Routine Check“ so einfach Wort verdrehender Unfug anstellen lässt. Nur wenig unterscheidet ihr Universum von dem ihres weißen Kumpels Mike Skinner alias The Streets, auf dessen Label ihre Platte auch erscheint. Ja, sie rappen nicht vom Pillenschlucken wie Skinner, sondern kiffen lieber – und sie sind geborene Londoner und keine Provinzeier, die es in die Hauptstadt gezogen hat.

Doch ansonsten geht es um Fußball, Mädchen und Zu-Hause-vorm-Fernseher-Abhängen. Wobei der besondere Charme von „A Breath Of Fresh Attire“ in den ausgefeilten Beschimpfungen liegt, mit denen sich die beiden eindecken – als wären sie die Gallagher-Brüder des britischen HipHop, die ihre Streits zum Teil der Musik gemacht haben. Umwerfend komisch in „When The Whistle Blows“, wo sie sich vorrechnen, wer mehr Ahnung vom FC Liverpool hat. Dann sind sie doch Sprecher einer bestimmten, einfach verallgemeinerbaren Erfahrung. Nur mit Hautfarbe hat das nichts zu tun.

Mitchell Brothers: „A Breath Of Fresh Attire“ (The Beats/Warner)

Attraktiv angekränkeltes Geschnatter

Es war also doch nur alles ein Missverständnis mit Grime, diesem heißen neuen London-Thang, denkt man sich, wenn man sich „In At The Deep End“ der Roll Deep Crew anhört, das Album der ehemaligen Posse von Dizzee Rascal. Hatte jener mit seinen zwei Platten doch einen Sound vorgeschlagen, der sich anhörte, als käme er direkt aus einem Altbatterienlager, so attraktiv angekränkelt rammten sich hier die Bässe in die Eingeweide, begleitet von gleichermaßen ungesundem Geräuschesperrfeuer aus der Playstation. Und nun? Fast nichts davon ist übrig geblieben – die Roll Deep Crew hört sich an, als hätte Grime immer schon HipHop sein wollen und es bisher nur nicht hingekriegt.

Aber jetzt. Nicht dass „In At The Deep End“ sich amerikanisch anhören würde, überhaupt nicht. Von der Idee Girl-Group-Elemente einzubauen über eine gewisse Dancehall-geschuldete Eckigkeit der rhythmischen Struktur bis zum ebenfalls Dancehall-geprägten Schnatterstil der Rapper ist dies alles sofort als britisch zu erkennen – wie es sich für eine lokale Kultur wie HipHop ja auch gehört, da muss man das regionale in Spuren kenntlich machen, sonst ist es nicht „real“. Doch im Unterschied zu früher sitzt eben auch jede Funkgitarre an der richtigen Stelle und jede Soulsängerin kräht ihre Gesangslinie exakt dort, wo sie hingehört. Und tatsächlich ist es genau jene Überblendung, die diese Platte am Ende dann so wunderbar macht.

Roll Deep Crew: „In At The Deep End“ (Virgin/EMI)

Mit der Erwartung spielen

Es dürfte nicht der wirkliche Spaß sein, gerade jetzt als französische HipHop-Gruppe eine neue Platte herausgebracht zu haben. Ob man will oder nicht: Auf einmal ist man Sprecher einer Community. Sogar der französische Innenminister de Villepin hat vor einigen Tagen zu Protokoll gegeben, dass wer sich mit HipHop beschäftige, erfahren könne, was in der Banlieu so abgeht. Gegen so viel Erwartung kann man eigentlich nur verlieren. Fast kommt es einem so vor, als wenn im Rapper die Figur des engagierten Schriftstellers noch einmal eingeführt werde. Mit all den Vorteilen von Sichtbarkeit und potenzieller Einflussnahme und all den Nachteilen, die das für die ästhetische Produktion haben kann.

Tatsächlich haben Saian Supa Crew, so eine Art französischer Wu-Tang-Clan, auf „Hold Up“, ihrem ersten Album seit vier Jahren, mit „Jacko“ auch ein Stück gegen Jacques Chirac, mit „Zonarisk“ eines über die Banlieu. Mit „Rouge Sang“ widmen sie einen Song den toten afrikanischen Migranten, die bei den Bränden in Pariser besetzten Häusern umkamen.

Ansonsten läuft dieses Album aber so ausgesprochen gut durch, weil die vier Rapper tatsächlich einen ganz eigenen Flow haben (wenn sie nicht gerade Englisch rappen, das sollten sie besser lassen) – und weil die Produktion zwischen Funk, Drum ’n’ Bass, Raggae, Folk, Elektro und was weiß ich noch was, so basslastig und präzise auf den Punkt kommt.

Saian Supa Crew: „Hold Up“ (Labels/ EMI)