„Man muss kämpfen“

Sie hat wichtige Defa-Filme wie „Die Legende von Paul und Paula“ oder „Berlin – Ecke Schönhauser“ montiert: die Schnittmeisterin Evelyn Carow. In Köln wurde sie gerade für ihr Lebenswerk gewürdigt

Interview SVEN VON REDEN

Evelyn Carow: Erst mal habe ich eine Frage an Sie: Finden Sie nicht, dass heutzutage der Ton oft vom Film ablenkt? Ich habe mir hier auf der Veranstaltung „Kammerflimmern“ und „Willenbrock“ angeschaut, da hört man die Autos immer, bevor man sie sieht.

taz: Das ist das Dolby-Surround-System.

Ich glaube, früher konnte man der Geschichte besser folgen. Aber vielleicht ist euch das ja zu piefig, wie der Ton in unseren Filmen ist. Wir haben uns so viel Mühe gegeben, Geräusche sparsam einzusetzen: Mal wird im Hinterhof teppichgeklopft oder die S-Bahn ist von Ferne zu hören, weil das zu dem Milieu gehört. Das war mir wichtig.

Ihr erster Spielfilm war 1957 Gerhard Kleins „Berlin – Ecke Schönhauser“, der berühmt wurde für seine realistischen Milieuschilderungen. Wie kam es dazu?

Gerhard Klein hat mich entdeckt, als ich einen kurzen Film über eine Modenschau geschnitten habe. Anstatt die Vorführdamen immer vor- und zurückgehen zu lassen, habe ich aus dem Material so eine Art Tanz montiert. Da hat der gemerkt, dass ich gerne experimentiere. Eigentlich hatte ich noch nicht genug Erfahrung für einen Langfilm, ich war ja gerade erst ein paar Monate dabei. Den de Sica und die anderen italienischen Neorealisten haben wir damals sehr verehrt. Wir wollten auch vom Atelier wegkommen – dass man in Originalwohnungen und mit Laien drehen kann. Wir mussten im Schneideraum viel rumprobieren. Warum etwas trotz eines guten Buchs und guter Inszenierung nicht funktioniert, kann man oft nicht erklären. Ob sich ein Schauspieler ruckartig oder gemächlich auf einen Stuhl setzt, verändert oder bestimmt gleich einen ganz anderen Rhythmus. Mir kam zu Gute, dass ich musikalisch war und Rhythmusgefühl hatte. Ich habe im Kinderchor gesungen und Theater gespielt.

Sie hatten keine theoretische Ausbildung? Bei dem formal sehr strengen „Der Fall Gleiwitz“ von Gerhard Klein, könnte man denken, sie seien von russischen Montagetheorien beeinflusst worden.

Nee, ich weiß auch nicht, warum man immer beeinflusst werden muss. Wir haben gedacht: Der Ausbruch des Zweite Weltkriegs, der Überfall auf den Sender Gleiwitz ist von den Nazis inszeniert worden, uns war wichtig, das genau nachzustellen, zu zelebrieren, in diesem Rhythmus. Wir haben uns nicht auf russische Filme bezogen, sondern versucht, den Schnitt nach unserem Gefühl hinzubiegen.

Gerhard Klein wurde ja für beide Filme von politischer Seite sehr kritisiert.

Er wurde mit „Jud Süß“-Regisseur Veit Harlan verglichen, das hat der nie verwunden.

Der Mauerbau wurde in der Defa aber dennoch weitgehend positiv aufgenommen.

Ich sag es Ihnen ganz ehrlich: Ich hab aufgeatmet. Da haben wir gedacht, jetzt sind wir unter uns und können richtig arbeiten, alles erzählen, über alles sprechen. Wir hofften, dieses misstrauische Gucken würde aufhören und sich alles normalisieren. Grundsätzlich waren wir ja nicht gegen das System. Wir haben gedacht, es wird jedem Künstler mal was abgelehnt – Zwänge habt ihr im Westen auch. Selbst wenn wir die doof gefunden haben und gedacht haben, die spinnen, fanden wir, dass das auch zu dem Beruf dazugehörte. Die Kränkung blieb natürlich, verziehen haben wir nie.

Wenige Jahre nach dem Mauerbau sind dann wieder zwei Filme, die Sie geschnitten haben, verboten worden: „Berlin um die Ecke“ von Gerhard Klein und „Die Russen kommen“ von ihrem Mann Heiner Carow.

Wenn ein Film in den Keller gegangen ist, hat das keiner gewusst außer uns Defa-Leuten. Innerhalb der Defa gab es aber viel Solidarität. Allein, wenn dir die Kollegen zugenickt haben, hat das einem schon viel Auftrieb gegeben. Man war nicht alleine. In die Presse stand aber nichts darüber. Darum habe ich von „Die Russen kommen“ auch eine Kopie gerettet. Ich dachte mir: Irgendwann muss der Tag für den Film kommen – und wenn du ihn dir nur selber anguckst. Trotz der Kränkungen hat man aber automatisch weitergemacht.

Mit „Die Legende von Paul und Paula“ hatten Sie und Ihr Mann dann 1973 einen großen Publikumserfolg.

Nach „Die Russen kommen“ war die Karriere meines Mannes im Tief. Nach „Paula“, obwohl der politisch gar nicht so geliebt war, haben sie ihn wieder in die Parteileitung geholt und dann irgendwann zum Vizepräsidenten der Akademie der Künste gemacht. Sie haben Heiner aber keine Filme gegeben, weil er ihnen unbequem war. So schizophren war das.

Mit „Coming Out“ hat er dann kurz vor dem Mauerfall einen mutigen Film über ein schwules Liebespaar gemacht.

„Coming Out“ wäre eigentlich gar nicht durchsetzbar gewesen. Heiner hat sich an ZK-Mitglied Kurt Hager gewandt und außerdem Gutachten von zwei Juristen und einem Mediziner eingeholt, die bestätigten, dass Homosexualität keine Abartigkeit, sondern eine Form von Normalität ist, und Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Homosexualität in der DDR verfassungswidrig. Man wusste schon, wie man ein Projekt durchsetzt. So unterschiedlich war es letztlich zwischen Ost und West nicht, im Westen muss man stattdessen eben jahrelang um das Geld kämpfen.