Der Vergleich ist unangemessen

betr.: „Mediziner in der Sinnkrise“, „Wut der Ausgebrannten“, „Zwischen Jammertal und Neidfalle“, taz vom 29. 11. 05

Ich will ja gerne glauben, dass Ärzte und Lehrer einen vergleichbar stressigen Beruf haben, aber der Vergleich ist trotzdem unangemessen: Die Verantwortung der Ärzte ist einfach ungleich höher. Fehler – aus welchem Grund auch immer – sind oft irreparabel, es kann um Leben und Tod gehen. Das muss sich in der Bezahlung niederschlagen, sonst macht keiner mehr den Job (ich würde es jedenfalls nicht, erst recht nicht, wenn nun Ärzte-Bashing hinzukommt).

Ärzte mit eigener Praxis tragen zusätzlich unternehmerisches Risiko, z. B. fünf Angestellte bezahlen (die übrigens allesamt nicht arbeiten können/dürfen, wenn der Chef krank ist), sechs- bis siebenstellige Anfangsinvestitionen abstottern und, wie andere Selbständige auch, Sozialbeiträge und diverse Fixkosten in voller Höhe selbst tragen. Ist in der abgedruckten Gehalt-/Arbeitszeittabelle die um mindestens einen Monat längere Urlaubszeit der Lehrer eingerechnet? Das entspräche immerhin einer zehnprozentigen Korrektur.

HOLGER POGGEL, Freudenberg

Es ist richtig und wichtig festzuhalten, dass das Verhältnis der Öffentlichkeit, präziser gesagt, das Arzt-Patienten-Verhältnis gebrochen ist. Weil dieses Arzt-Patienten-Verhältnis strukturell zerstört und immer mehr zum Kunde-Dienstleister-Verhältnis reformiert wurde. Das Arzt-Patienten-Verhältnis basiert auf einem Arbeitsbündnis, das u. a. auf Vertrauen und Offenheit aufbaut. Das bedeutet grob gesagt, dass sich der Arzt unvoreingenommen dem Patienten zuwendet, um ihn nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten, zu helfen und ihm die notwendige Therapie angedeihen zu lassen. Das tendenziell sich einstellende Verhältnis Kunde-Dienstleister soll und wird diesem Anspruch nicht gerecht, da ein Kunde weiß, dass die Maxime des Dienstleisters die Profitmaximierung ist. Also das Gegenteil von Vertrauen, Offenheit und Unvoreingenommenheit.

Es ist aber nicht zutreffend – wie die Kommentatorin einfach, ohne ein Argument zu nennen, schreibt – dass hinter den aktuellen Konflikten eine Identitätskrise des Arztberufs steht. Fakt ist, dass die Aufstiegschancen und Arbeitsbedingungen für viele Ärzte/Ärztinnen schlechter geworden sind. Aber eine Identitätsbildung, die Habitusausbildung eines Berufsstands, leitet sich nicht ab aus solcherlei Arbeitsbedingungen. Von Identitätskrisen kann man nur bei Menschen sprechen, deren Berufsbild völlig verschwindet, deren Berufsbild oder individuelles Profil (Stichwort Alter) auf dem Markt kaum nachgefragt wird, so dass viele oder die meisten nicht mehr praktisch ihren Beruf ausüben können. Erst diese genannten Bedingungen führen zu einer Identitätskrise. Davon sind viele Berufe respektive Menschen aktuell betroffen, aber lassen wir die Kirche im Dorf, Ärzte/Ärztinnen nicht.

ANDREAS HOERMANN, Frankfurt am Main

Warum habe ich nur immer das Gefühl, wenn ihr über die Ärzte und ihre Situation schreibt – zum Beispiel einen Streik wie den vom 28. 11. 2005–, dass ihr dies ins Lächerliche zieht? Ist es witzig, immer mehr arbeiten zu müssen für relativ oder auch absolut weniger Geld? Mehr Patienten zu sehen, immer kürzere Liegezeiten bedeutet ein deutliche höheres Arbeitsaufkommen. Dies kann man nicht mit zirka 10,8 bis 23,24 durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden schaffen (siehe Tabelle Einkommen und Arbeitszeiten 2003 im Vergleich). Zudem schwingt eine deutliche Ironie durch eure Artikel mit einem unklaren Amüsement, was die Ärzte schon wollen und wie sie sich anstellen im Vergleich zu LehrerInnen und Putzfrauen. Immerhin habt ihr zu ersten Mal geschafft, euch mit der Ausbildungssituation und dem Ausbildungsverlauf auseinander zu setzen und könnt euch bereits hier einen Teil der genannten Frage beantworten. Ist es zudem richtig und gerecht, die europäische Arbeitszeitregelung erneut aussetzen zu wollen, weil die Arbeitgeber sich nicht bewegen? Ist es richtig, dass man nachts und am Wochenende für 65 Prozent des üblichen Gehalts arbeitet? Ich wünsche euch viel Spaß dabei, ein brisantes Thema richtig aufzubereiten und diejenigen ausfindig zu machen, die das Geld des Gesundheitswesen in die „eigenen“ Taschen stecken. CHRISTOPH HUMMEL, Gütersloh

Viel wurde über Geld und Ansehen der deutschen Mediziner berichtet und leicht konnte der Eindruck entstehen, junge Ärztinnen und Ärzte wehrten sich nur gegen ihren Imagewandel Unterbezahlung und sinkende gesellschaftliche Anerkennung.

Viele der jungen Leute gehen aber auf die Straße um deutlich zu machen, wessen Schaden das Sparen im Gesundheitsbereich eigentlich ist. Leiden müssen Patienten, die in ländlichen Regionen in der Notaufnahme von Assistenzärzten versorgt werden, die grade 24 Stunden Bereitschaftsdienst hinter sich hatten und nun zum Teil lebenswichtige Entscheidungen treffen müssen. Drei Wochen Einarbeitung nach der Uni und dann als Diensthabende Ärztin eine ganze Abteilung schmeißen, gewalttätige betrunkene Nazis nachts um zwei und von ihren Ehemännern verprügelte Frauen in der Notaufnahme. Neun bis zwölf Bereitschaftsdienste im Monat und zehn bis 20 Überstunden pro Woche (unbezahlt, war nicht angeordnet so der lapidare Kommentar der Krankenhausleitung). Neben diesen für Partnerschaft, Familie und Kinder schädlichen Arbeitsbedingungen und der hohen Verantwortung müssen viele Ärztinnen mit ansehen wie Krankenhausleitung und Management immer öfter nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten über Behandlung, Verlegung und Liegezeiten von Patienten entscheiden, nicht immer im Einklang mit den optimalen medizinischen Notwendigkeiten.

TOBIAS ZÖLLER, Ehemann einer Ärztin, Siegen

Sie hätten bei der Berechnung der Stundenlöhne fairerweise auf die Vielzahl an unbezahlten Überstunden hinweisen können, oder auf die Tatsache, dass der Zeitaufwand für Forschung an Universitätskliniken gar nicht in die Stundenzahl mit einberechnet ist, sondern gewissermaßen in der Freizeit stattfindet. Dann verschiebt sich die Rechnung schon etwas mehr in Richtung Putzfrau und Lehrer, wobei letztere trotz ihres „geringen Gehalts“ immer noch größtenteils unkündbare Beamte sind und sich nicht von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten hangeln müssen.

MAXIMILIAN SCHREINER, Berlin

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