Aktivist der Landlosen in Brasilien getötet

Großgrundbesitzer gehen in die Offensive. Landbesetzungen werden künftig als Terror-Handlungen eingestuft

PORTO ALEGRE taz ■ Es sind harte Zeiten für Brasiliens Landlosenbewegung MST. Fast jede Woche wird ein Aktivist erschossen. Am Dienstag lauerten im Bundesstaat Alagoas zwei Killer dem 24-jährigen Jaelson Melquíades auf und streckten ihn mit fünf Schüssen nieder. Damit stieg die Zahl der seit Jahresbeginn getöteten Landarbeiter auf 39.

Auch im Kongress gehen die Großgrundbesitzer in die Offensive. In einem Parlamentsausschuss über die Landfrage setzten sie einen Abschlussbericht durch, wonach Landbesetzungen als „terroristische Handlungen“ eingestuft werden sollen. Die Senatorin Ana Júlia Carepa von der Arbeiterpartei zerriss den Bericht und rief: „Ich ziehe mich zurück, ich mache mich nicht zur Komplizin von Mördern.“

Die katholische Landpastorale sieht im Bericht einen „Freibrief für Gewalt“. Zudem fordert die Großbauernlobby, drei der MST nahe stehende Vereine sollten Staatszuschüsse von umgerechnet 7 Millionen Euro zurückzahlen, die entgegen ihrer Bestimmung verwendet worden seien.

Die Regierung Lula hat in drei Jahren 10 Millionen Euro an die MST für Projekte überwiesen. Seit 1995 erhielten die fünf wichtigsten Großbauernverbände jedoch 25-mal so viel Bundesmittel wie die MST. Dies geht aus dem ursprünglichen Abschlussbericht hervor, der abgelehnt wurde. Darin stellte der Abgeordnete João Alfredo fest, dass 1,5 Prozent der Landbesitzer 47 Prozent allen Grund und Bodens gehören. Seit 1985 wurden bei Landkonflikten etwa 1.500 Landarbeiter ermordet, fast alle Morde blieben ungesühnt.

Unter Lula hat sich weder an der ungleichen Landverteilung noch an der Gewalt von rechts etwas geändert. Auch 2005 sei ein schlechtes Jahr gewesen, sagt MST-Sprecher Jaime Amorim aus Pernambuco. Erneut werde die Regierung das selbst gesteckte Ziel klar verfehlen, bis Jahresende 115.000 Familien anzusiedeln. Das schreibt Amorim schlichter Unfähigkeit zu: „Der Umbau der Behörde für Agrarreform kommt kaum voran, das ist ein strukturelles Problem.“ Für João Pedro Stedile von der nationalen Leitung der MST ist der orthodoxe wirtschaftspolitische Kurs der Regierung das größte Hindernis für eine Landreform: „Unser Staat ist eine Geisel der Finanzmärkte.“ GERHARD DILGER