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Buch zu NachkriegsvertreibungenDie Front weicht auf

Ray M. Douglas präsentiert eine Studie über die Vertreibung von Deutschen nach 1945. „Ordnungsgemäße Überführung“ ist nicht in allem gelungen.

Opfer, wohin man schaut: Sudetentag in Augsburg, 2003. Bild: dpa

Ray M. Douglas ist Professor an einer kleinen US-Universität. Er spricht leise und distinguiert, das Eifern liegt ihm fern. Er hat ein Buch über die Vertreibung der Deutschen nach 1945 geschrieben, das vor ein paar Jahren wohl noch für eine ordentliche historische Grundsatzdebatte gesorgt hätte.

Der Exodus aus Schlesien, Pommern und dem Sudentenland hält er für das „am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkriegs“. Ein Tabu also, so wie es die Vertriebenenfunktionäre seit Jahrzehnten behaupten?

Die Vertreibung von zwölf Millionen Deutschen war, so Douglas, „einer der größten Fälle massenhafter Menschenrechtsverletzungen in der modernen Geschichte“ und, so wörtlich in der Studie „Ordnungsgemäße Überführung“ „ein demographisches Experiment von historisch beispiellosem Ausmaß“. Historisch beispiellos und ein Geheimnis?

Man zuckt angesichts solcher Superlative instinktiv zurück. In Douglas’ Buch finden sich Fotos von zu Gerippen abgemagerten deutschen Kindern, die 1945 unter barbarischen Verhältnissen in der Tschechoslowakei und Polen in Lagern interniert waren. Werden die Deutschen kollektiv als Opfer inszeniert und entschuldigt? Hat Erika Steinbach einen neutral wirkenden Fürsprecher ihrer Sache rekrutiert?

Wohlwollende Kritiken

Bemerkenswert ist, dass „Ordnungsgemäße Überführung“ schon im Frühjahr bei C. H. Beck erschien und in den Leitmedien für historisch korrektes Erinnern durchweg mit wohlwollenden Kritiken in mittlerer Temperaturlage bedacht wurde. Das Thema deutsche Vergangenheit scheint nur noch bedingt skandalisierbar zu sein. Dass die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ vor ein paar Tagen fast ohne öffentliches Echo ein Konzept für ihre lange hart umkämpfte Dauerausstellung präsentierte, passt ins Bild. Konsens überall.

Auch bei Douglas’ erstem Auftritt in Deutschland, im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin ging es moderat, geradezu britisch entspannt zu. Man tauschte freundlich Argumente aus. Der Historiker Michael Schwarz und Manfred Kittel, Leiter der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wirkten wie Ingenieure, die sich gemeinsam über einen kaputten Motor beugen.

Schwarz lobte zu Recht Douglas’ Kapitel über das Leid der Kinder, das von den Regierungen in Prag, London und Warschau systematisch in Kauf genommen wurde und bislang kaum beachtet wurde. Kittel lobte zu Recht Douglas’ „Adlerperspektive der allgemeinen Menschenrechte“ auf das Thema. In der Tat ist dieser Blick das Bestechende an der Studie. Vertreibungen, so das Schlüsselargument, sind immer brutal, blutig und willkürlich und daher mit keinem Konzept der Menschenrechte vereinbar.

Die Fokussierung auf die Menschenrechte ist der Unterschied zu Steinbach & Co – und einer ums Ganze. Douglas ist über den Verdacht erhaben, Nazi-Verbrechen ein bisschen relativieren zu wollen. Sein Motiv ist das Erschrecken, wie routiniert der britische Premier Churchill die organisierte Vertreibung schönte. Seine Kritik ist an den Westen adressiert, der mit den Vertreibungen eigene Humanitätsideale verriet (und nur nebenher und allzu grob an die westdeutsche Linke).

Profundes Misstrauen

Ray Douglas begann seinen Vortrag zudem mit einem aufschlussreichen Bonmot. Geschichte sei etwas, das Briten erinnern und Iren vergessen sollten. Daraus spricht ein profundes, aus irischer Leidenserfahrung geronnenes Misstrauen gegen Geschichte aus der Siegerperspektive, das den Grundton dieser Studie ausmacht.

„Ordnungsgemäße Überführung“ ist keineswegs in allem gelungen. Manche Formulierung ist – siehe oben – marktschreierisch. Der Tscheche Edvard Benes wird zum diabolischen mastermind aufgepumpt, als würden historische Werke notwendig Schufte brauchen. Auch, dass Douglas die Vertreibungen kategorisch zu einem nicht nur illegitimen, sondern auch komplett sinnlosen Verbrechen ohne jeden historischen Nutzen erklärt, verdient Fragezeichen, die in der allzu netten Debatte leider niemand setzen wollte. Wer weiß denn, ob die Wiedervereinigung 1989/90 mit zehn Millionen Deutschstämmigen in Polen und Tschechien nahe der deutschen Grenze so glatt verlaufen wäre?

Michael Schwarz erklärte die Aufmerksamkeit für Douglas recht einfach: „Er ist kein Deutscher.“ Der zurückhaltende Ire wirkt als Figur wie ein Art spiegelverkehrter Daniel Goldhagen. Wieder taucht die nervöse Frage auf, warum keinem deutschen Historiker das offenbar Naheliegende eingefallen ist. Allerdings wirkte Goldhagens Anklage gegen die Deutschen 1996, „Hitlers willige Helfer“, als Baumaterial für geschichtspolitische Unterstände, während Douglas letzte Frontverläufe aufweicht.

Was aber spricht gegen einen möglichen Erinnerungskonsens, der die zentrale Täterschaft der Deutschen als selbstverständlichen Fakt voraussetzt und alle Opfer einschließt? Nichts, gerade mit Blick auf die Zukunft. Denn die Frage ist berechtigt: Wie kann man in Deutschland ethnische Vertreibungen anderswo ächten, wenn man Zwangsumsiedlungen von mehr als zehn Millionen Deutschen stillschweigend gutheißt?

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3 Kommentare

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  • M
    Michel

    12 Millionen gewaltsam aus ihrer Heimat vertriebene, viele Hunderttausende (bis zu 2 Millionen) erfroren, erschlagen, verhungert.

     

    Was Hitler plante, wurde nach Kriegsende von den Siegern durchgeführt.

     

    Aber wehe ein Deutscher wagt es an dieses Tabu zu rühren. Deutsche als Opfer, dass darf es einfach nicht geben.

     

    Gut, dass es tapfere Menschen wie Frau Steinbach gibt, die nie ihre Klappe gehalten haben. Egal wie hart auf sie eingeschlagen wurde.

  • AG
    Anton Gorodezky

    "Werden die Deutschen kollektiv als Opfer inszeniert und entschuldigt?"

    Das ist schon deshalb unmöglich, weil diese Taten nach den Greueltaten, die Deutsche begangen haben geschahen. Eher wird doch umgekehrt ein Schuh daraus: mit den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg werden die Verbrechen (nennen wir es Racheaktionen) an Deutschen nach Kriegsende entschuldigt. Ich finde es ja vollkommen in Ordnung, dass man versucht, es damit zu erklären (diese Aktionen geschahen ja nicht im luftleeren Raum) - als Entschuldigung hält es aber nicht her.

  • M
    Meier

    Ein wichtiges Thema.Ob es aber "bisher verschwiegen wurde" oder gar "das bestgehütete Geheimnis des 2.WK" ist-das ist doch arg zu bezweifeln,ja ist derlei reißerische Aufmachung abzulehnen und der gewünschte Tenor also als falsch abzulehnen!

    Denn:

    - Schließlich war es von Anfang an bekannt,es wurde weder etwas beschönigt noch unter Geheimnisschutz gestellt,es wurden Filmaufnahmen gemacht, es wurden keine Zeugen beseitigt, es wurde sich auch damals schon kräftig aufgeregt (zu Recht)und die sache thematisiert.Allerdings eben auch die deutschen verbrechen ,daher hielt sich das Mitleid ,soweit es nicht kalterkriegsbedingt geweckt war bereits, doch in engen Grenzen.

     

    -Es wurde von keiner ,anfangs ja jeweils provisorischen, Regierung in jenen Ländern Tötungsbefehle ausgegeben. Die Offiziellen duldeten,auch das ist ein Verbrechen.

     

    -Die gewaltätigen Übergriffe und Morde die es natürlich gab und von reinen Ideologen aus ebensolchen Gründen diskurtiv geleugnet wurden,sind unter dem Begriff "private Abrechnungen" und Hassausbrüche und Lynchjustiz/Lynchmobs zu subsummieren;ähnlich den Tausenden illegaler "Hinrichtungen" an Kollaborateuren und der schändlichen verbrecherischen Behandlung der Frauen die so oder so mit dtsch.Soldaten zu tun hatten in Frankreich und vergleichbaren Taten in anderen besetzten und dann befreiten Ländern. (Hätten in Norwegen oder England oder Frankreich so viele Deutsche gewohnt wie in der Tschechoslowakei ode rin Polen ,hätte es vom Pöbel und den "Homeguards" und dem "Maquis" usw. auch in Engöand ,Norwegen und Frankreich Übergriffe gegen Deutsche gegeben und sicher auch Ausweisungen. Da mache sich niemand was vor.

     

    Der nicht schichtspezifisch sich zusammensetzende Mob oder die entsprechende Soldateska hat dort gemordet und mißhandelt usw.!

     

    Vorzuwerfen ist das wem? Zuerst der sowjetischen Besatzungsmacht,die -sonst ja nicht zimperlich- gegen derlei polnischen und tschechischen Pöbel, bewaffnet oder unbewaffnet, eben hätte rigoros vorgehen müssen. (Na ja-die Russen werden sagen, sie hätten damals anderes zu tun gehabt ,der Kalte Krieg begann usw.. Stimmt zwar,aber: Na, sie haben ja dann später auf unbotmäßige Polen und Tschechen eingedroschen -da hätten sie es auch 45/46 bei den richtigen machen können die es verdient gehabt hätten und hätten die zur Ausreise bereiten Deutschen schützen müssen!Nicht wahr?Nebeneffekt: Sie wären bei den Deutschen beliebter gewesen-aber Russen sind halt ,sagen wir, ungeschickt in sowas,oder eben .....!)

     

    Auch die zunächst ja bürgerlichen Regierungen dort hätten disziplinierte Truppen,die sie hatten gerade in der Tschechoslowakei, zum Schutze der ausreisenden,ausgewiesenen Deutschen abstellen müssen nach bekanntwerden der ersten Zwischenfälle -aber sie unterließen das im Kalkül,bei Wahlen keine Wähler zu verlieren usw.usw.!

     

    Zudem ,das wird immer verschwiegen, sind viele Deutsche auch dort geblieben. An verschiedenen Orten gab es die Möglichkeit zu wählen: Deutscher bleiben und gehen -oder Pole werden und bleiben! Es blieben eine ganze Anzahl-denn sonst wären in den 70ern und 80ern nicht so viele "Deutschstämmige" in die damalige Bundesrepublik gekommen,nicht wahr.

     

    Es war ein größeres Verbrechen ,als es die östlichen Staaten zugeben wollten und die dort herrschenden Kommunisten, schlicht um ihr damaliges Versagen in verantwortlichem,bzw. unverantwortlichem Handeln gegenüber dem eigenen Mob zu kaschieren - und es wurde negierend instrumentalisiert von Westlinken,die noch alles und jedes gemäß ihrer Kindergartenideologien passend machten um die ungeliebten und später dann doch beerbten Papas mit Sand zu bewerfen! Letztere sind nicht ernst zu nehmen und verschwinden ja gerade von der politischen wie philosophischen Bildfläche um mit anderem und verändertem Ideologiequatsch wieder mitzumachen ,erstere sind tatsächlich entmachtet und tatsächlich verschwunden.

     

    Die Opfer nutzten ihr Opfersein -das niemand der ernst zu nehmen war je bestritt- aber auch für ihren rechtskonservativen tagespolitischen grundsätzl. Kampf gegen die im Osten herrschende "Ideologie" im Kontext des sog.Kalten Krieges. Auch das muß erwähnt sein und begriffen werden-es entfernt sich dann der Diskurs von seinem Thema ,wenn sowas gemacht wird. (Es gibt auch andere Opfer, die das so machten, um sich mit neuen Verbündeten,die als Rechtsnachfolger durchaus Ansprechpartei gewesen wären, gut zu stellen und erst mal etwas anderes zu erledigen, mitzuerledigen.Formaljuristisch hätte man auch 1963 gegen X und Y klagen können -und hätte schneller Recht bekommen ,weil viel mehr Zeugen noch lebten. Aber das ging nicht -zwischenzeitlich hatte sich was verändert und das Jahrhundertereignis war dann doch nicht ganz so wichtig wie ein anderes herbeizuführendes "Jahrtausend"-Ereignis. )

     

    Wahrheit muß Wahrheit bleiben-auf allen Seiten.

     

    Schuld an den Morden etc.bei jenen Vertreibungen und Aussiedlungen haben eindeutig die Russen als Besatzungsmacht und die -zunächst bürgerl. -Regierungen dort ,die ihren eigenen schichtunabhängig zusammengesetzten Pöbel und Mob nicht,notfalls mit Waffengewalt, stoppten und in die Schranken wiesen. Unverständlich deshalb,weil die ja sonst immer Fünfe gerade sein ließen. Humanitätsduselei gegen eigene Leute kann es also nicht gewesen sein.

    Es war Rohheit und Dummheit bei Russen wie bei im Amte befindlichen Tschechen und Polen,so einfach ist das letztlich.

    Einzig: Die haben Morde und derlei nicht angeordnet -sie haben sie geduldet durch Unterlassen des Eingreifens. Die Quittung haben diese Leute ja bekommen.

     

    Aber "das bestgehütete Geheimnis des 2.WK. " waren die Vertreibungen (zu Anfang durch geduldeten Pöbel und Abschaum und Mob organisiert,dabei geschahen die meisten Übergriffe und Morde) und Ausreisen, teils nach Optionsmöglichkeit (die auch immer verschwiegen wird) nicht. Insoweit instrumentalsiert der Autor die Thematik ebenfalls mit solchen Werbebehauptungen der berüchtigten "neuen Erkenntnissse" .

     

    Aber jedes Buch ,ob gut ob schlecht und ob instrumentalisierend oder ehrlich informativ, liefert immer Sachinformation über dies und das!