Ihre Probleme sind unsere Probleme

NEUKÖLLNER ROMA-BERICHT

Roma sind nicht nur Opfer. Es sei denn, wir machen sie dazu

Man kann ja zur Abwechslung mal mit einem Lob anfangen. Der 3. Roma-Statusbericht des Bezirks Neukölln hebt sich nicht nur wohltuend ab von dem großen Gezeter, das derzeit um die angebliche Masseneinwanderung von „Rumänen und Bulgaren“ – gemeint sind eigentlich Roma – gemacht wird. Der Bericht zeigt auch, dass sich in Berlin einiges getan hat seit jenem unheimlichen Sommer 2008, als die Verwaltung jedem obdachlos im Park sitzenden Rom und jeder Romni Geld in die Hand drückte, damit er oder sie der Stadt den Rücken kehrte.

Heute ist die Politik in ganz Berlin weiter: Man hat eingesehen, dass die Rumänen und Bulgaren gekommen sind, um zu bleiben. Weil die Zustände in ihren Ländern katastrophal sind – zumal für Roma. Weil ihre Länder EU-Länder geworden sind und Freizügigkeit eine der größten Errungenschaften dieser Union ist. Das hat man akzeptiert in Neukölln – und erklärt, sich dieser Realität und den daraus folgenden Problemen stellen zu wollen.

Doch jetzt wird es schwierig. Denn was sind die Probleme – und wer hat sie? Der Bericht sagt, die wichtigsten Baustellen sind Gesundheit, Bildung, Wohnen. Roma-Selbstorganisationen sehen das etwas anders. Für sie sind die Themen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Leistungen der sozialen Sicherung mindestens ebenso wichtig, beziehungsweise stehen sie mit den anderen in engem Zusammenhang. Wie sollen Eltern ihre Kinder gesund großziehen und sich für deren Schulausbildung engagieren, wenn sie sich und die Ihren nur mit Mühe über Wasser halten können, weil sie hier nur als Selbstständige arbeiten dürfen und eben kein Hartz IV beantragen können?

Natürlich haben Roma Probleme mit Bildung und Gesundheit. Aber sie haben sie nicht, weil das spezielle Roma-Probleme sind. Sie haben sie, weil sie arm sind, wie jeder, der arm ist. Roma sind besonders arm dran, weil sie strukturell diskriminiert sind: Denn wer vermietet an sie, wer gibt ihnen Arbeit und Ausbildung? Damit ist ein weiteres Problem benannt: der Antiziganismus. Und der ist „unser“ Problem. Wenn man dies unterschlägt, tut man den Roma ein weiteres Mal unrecht: indem man sie nur als problembeladene Opfer sieht. Das ist zwar (im Neuköllner Fall) wohlmeinend gedacht, aber trotzdem paternalistisch. Denn Roma sind nicht nur Opfer. Es sei denn, wir machen sie dazu. SUSANNE MEMARNIA