„Je näher die Katastrophe, desto größer unser Verdrängungstalent“

WACHSTUM Viele Hersteller produzieren mit Absicht Produkte, die nach kurzer Zeit kaputtgehen. Die Autorin Cosima Dannoritzer erklärt, wie man sich dagegen wehrt

■ geboren 1965 in Dortmund, studierte Englische Literatur sowie Film- und Theaterwissenschaften. Vor zwei Jahren wurde sie durch ihren mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Kaufen für die Müllhalde“ bekannt. Das gleichnamige Buch erscheint am Montag im Handel. Foto: privat

INTERVIEW PHILIPP BRANDSTÄDTER

■ Das Problem: Viele Hersteller bauen die Produkte so, dass sie nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen. Das treibt das Wachstum an und hält die Wirtschaft am Laufen. Weitere Infos unter: taz.de/kaputt.

■ Die Lösung: In Secondhandläden gehen, Repair-Cafés besuchen oder beim Einkauf auf langlebige Produkte Wert legen. Die Seite ifixit.com gibt Reparaturtipps für kaputte Laptops.

sonntaz: Frau Dannoritzer, wenn viele Produkte nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen, ist das meistens kein Zufall. Sie sagen: Da steckt ein System dahinter. Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?Cosima Dannoritzer: Ursprünglich wollte ich nur eine kleine Geschichtsdoku über die Gier von zwei, drei Firmen drehen. Aber dann hat mich selbst überrascht, wie viele Beispiele ich gefunden habe. So hat sich das Drehbuch verändert. Es geht nicht um wenige gierige Firmen, Verschleiß ist ein wichtiger Teil der Wachstumsökonomie. Was bedeutet das? Es spielen da vor allem drei Faktoren zusammen: die Werbung, der Kredit und der Verschleiß. Wir brauchen immer das Neueste, sagt die Werbung. Der Kredit hilft uns, die Sachen zu kaufen, die wir eigentlich gar nicht brauchen oder ersetzen müssen, und der Verschleiß steigert den Bedarf. Das funktioniert entweder durch geplante Obsoleszenz, indem die Firmen kleine Sachen an ihren Waren kaputtgehen lassen. Oder auch durch psychische Obsoleszenz, wenn wir uns zum neuen Modell verführen lassen, anstatt das alte zu reparieren. So kurbeln wir doch unsere Wirtschaft an. Wir fördern das Wachstum, schaffen Arbeitsplätze. Ist das denn keine gute Sache? Das ist eine wunderbare Sache. Und die hat ja auch eine Zeit lang gut funktioniert, da sind ganze Wirtschaftszweige neu entstanden. Da ist nur ein kleiner Haken: Es konnte kein Langzeitprojekt sein. Die Rohstoffe gehen uns aus und wir kriegen ein Riesenmüllproblem. Wir sind jetzt an einer Schwelle, die vor fünfzig Jahren noch keiner hat kommen sehen. Auch das Wachstum lässt sich nicht permanent beschleunigen. Wir können nicht täglich die Glühbirnen wechseln und alle zwei Wochen einen neuen Kühlschrank kaufen. In welchen Produkten ist der Verschleiß denn eingebaut? So ziemlich in allen. Ich habe eine billige Pfanne zu Hause, da wackelt der Griff. Die Pfanne ist so konstruiert, dass man die Schraube am Griff nicht festziehen kann, das Metall ist verlötet. Eine Pfanne kann man ja vielleicht noch selbst reparieren, zumindest notdürftig. Stimmt. Anders ist es bei Produkten aus dem Elektronikbereich. Akkus gehen kaputt und können nicht getauscht werden. Drucker enthalten einen Zählchip, der nach einer bestimmten Zahl gedruckter Seiten den Dienst einstellt. Hitzeempfindliche Kondensatoren werden immer an der heißesten Stelle von Computern und Fernsehern verbaut. In Waschmaschinen gibt es im Motor einen kleinen Kohlestift, der sich abreibt und dann die ganze Maschine lahmlegt. Der Stift könnte auch aus Metall bestehen, was nicht viel teurer wäre und das Leben verdreifachen würde. Auch die Tendenz, dass alles in einem Teil verschweißt und verklebt ist, trägt dazu bei, dass es immer schwerer wird, etwas zu reparieren. Würden wir das System des Verschleißes durch unser Konsumbewusstsein ändern können? Uns bleibt überhaupt nichts anderes übrig. Wir müssen jetzt mit Alternativen beginnen, denn wenn die Ressourcen so richtig knapp werden, dann gibt es heftige Konflikte, Kriege. Viele denken: „Das wird in meiner Lebzeit nicht passieren!“ Oder: „Irgendeine Lösung wird sich schon finden.“ Psychologen haben erkannt: Je näher die Katastrophe rückt, desto größer ist unser Talent, zu verdrängen. Das ist eine Überlebensstrategie, damit wir uns mit dem Problem befassen können, anstatt in Panik zu fliehen. Aber das Problem muss man erst einmal erkennen. Glauben Sie, dass die Konzerne auf eine größere Nachfrage nach Langlebigkeit eingehen? Ja, das fängt jetzt überall an. Die Krise hat etwas Positives gebracht: Es entsteht Interesse für Nachhaltigkeit und Alternativen. Und es ist toll, dass unser System tatsächlich Alternativen mit vielen Ansätzen bietet. Nicht nur den, dass wir alle wieder in die Kommune aufs Land ziehen müssen. Welche Alternativen sind das? Da gibt es drei simple Ansätze. Erstens: Man kann mit Nachhaltigkeit Geld verdienen. Wenn ich eine Glühbirne herstelle, die 25 Jahre hält, dann spare ich Material, Energie, Transportkosten und so weiter. Zweitens: Man kann bei der Herstellung von Waren das Design so verändern, dass die verwendeten Rohstoffe zurück in den Produktionskreislauf kommen, anstatt auf dem Müll zu landen. Wenn das jeder macht, würde es niemanden stören, wenn wir die Handys wie die Unterwäsche wechseln. Die Ressourcen blieben ja erhalten. Und der dritte Punkt ist eine Frage der Philosophie. Wir müssen unser Verständnis für Reichtum anders definieren. Warum sind wir eigentlich „reich“, nur weil wir einen Haufen Krempel herumstehen haben? Welche Möglichkeiten haben wir heute, der Obsoleszenz ein Ende zu machen? Eine einfache Möglichkeit ist, in Secondhandläden zu gehen. Ich freue mich, wenn ich ein Kleidungsstück sehe, das von außen wie neu aussieht und von innen ein komplett verwaschenes Etikett hat. Das heißt, dass das etliche Male gewaschen wurde und die gute Qualität das aushält. Bei der Herstellung gibt es mittlerweile Designer, die darauf achten, dass man die Geräte wieder aufschrauben und reparieren kann. Es gibt überall Repair-Cafés und kleine Werkstätten, wo man Werkzeug benutzen kann. Toll sind auch Websites wie ifixit.com, wo Laptops aufgeschraubt werden und gezeigt wird, wie man sie wieder reparieren kann. Es gibt eine Menge Bastler, die stellen Videos mit Anleitungen ins Netz. Das ist ein Widerstand, der immer größer wird. Das ist eine Energie, die man nicht unterschätzen darf. Da steckt viel Macht dahinter, die man als Konsument hat. Und wie reagieren die Konzerne, denen Sie geplante Obsoleszenz vorwerfen? Sie haben sich ja speziell mit Apple befasst. Ganz lustig ist, dass die alle anders reagieren. Manche haben von Obsoleszenz noch nie etwas gehört und sagen, wenn das stimme, würden die Leute zur Konkurrenz gehen. Was natürlich Quatsch ist, weil das ja alle machen. Ich wollte mich aber nie mit einem bestimmten Konzern anlegen. Außer vielleicht mit Apple, weil die es gerade wirklich übertreiben. Viele geben es indirekt zu. Sie sagen, das sei wichtig für den Fortschritt. Oder: Für den Preis von 39 Euro ist die Lebensdauer eines Druckers von zwei Jahren doch in Ordnung. Die Fragen, wo unsere Ressourcen herkommen und wo der Müll hingeht, werden dabei nicht berücksichtigt. Ich habe die Vermutung, dass sich da ideologische Lager abspalten. Es ist eine Frage des Glaubens und der Politik, nicht der Fakten.