Spielzeitauftakt in Oldenburg und Bremen: Verpuffte Debatten
Das Oldenburgische Staatstheater hat dem Theater Bremen in den letzten Jahren künstlerisch den Rang abgelaufen. Die beiden Premieren zum Start der Spielzeit gehen trotzdem daneben
Zuschauerrekorde einzufahren, das ist prima. Inhaltlich aber wirklich etwas zu wollen, gilt als der einzig wahre Antrieb des Intendantenseins. Auch in Oldenburg. Das Staatstheater ist personell wie finanziell gegenüber dem nachbarlichen Konkurrenten, dem Theater Bremen, zwar schlechter ausgestattet, hat diesem aber in den letzten Jahren künstlerisch den Rang abgelaufen.
Während man in Oldenburg auf eine kluge Repertoire-Mischung aus innovativen Formaten und avanciert aufgemachten Klassikern setzte, inszenierte am Theater Bremen Managerintendant Hans-Joachim Frey das Haus drei Jahre lang als Eventmaschine. Ihm folgten zwei Interimsintendanzjahre der Chefdramaturgen der vier Sparten: eine Notlösung. Zwar erreichte die Oper mit der Fokussierung auf klassisches Regietheater durchaus wieder ein respektables künstlerisches Niveau, das Schauspiel aber versank in juveniler Wurschtigkeit.
Auch in Sachen Zuschauerzahlen hat das Oldenburgische Staatstheater das Theater Bremen überholt. Freut man sich in Bremen über 165.000 Besucher pro Spielzeit, um so eine Auslastung von 70 Prozent erzielen zu können, hat Oldenburg seit Jahren über 200.000 Besucher pro Spielzeit und meldet häufig „ausverkauft“. Das Oldenburgische Staatstheater muss aufgrund der großen Nachfrage diverse Produktionen lange im Spielplan halten: 20 Wiederaufnahmen sind in der Spielzeit 2012/13 im Programm. Die Premierenzahl musste daher auf 24 reduziert werden – Bremen prunkt mit 37 Premieren.
Die Oldenburger Neuproduktionen sollen in der kommenden Spielzeit noch mehr wollen als bisher. „So manches ist faul im Staate, wir sind nicht einverstanden und suchen nach dem richtigen Ausdruck für unseren Protest“, schreibt Oldenburgs Intendant Markus Müller in der Spielzeitung. Kennen ja viele, das Gefühl: So geht’s nicht weiter, weg mit dem Kapitalismus! Aber wo ist der Feind zu packen, wo die dazu notwendige Massenbewegung, wo ist die Alternative zu finden? Im Theater?
Wenn es am bürgerlichen Mandat des aufgeklärten Menschen festhalte, so Müller, widersetze es sich „dem gesellschaftlichen Konformitätsdruck“. Das könne anstrengend sein, sei aber „Entwicklungshilfeprogramm zur marktwiderständigen Emanzipation“. Da müssen wir hin!
Hausautor Marc Becker soll in der Uraufführung seines Werks „Männer mit Krone“ gleich ein Grundübel unseres existenziellen Wurschtelns sezieren, nämlich die Art und Weise, wie wir die Sehnsucht nach Abgründen in uns selbst ausleben. Aber die Aufführung balanciert nicht wie das Vorbild, Alfred Jarrys „König Ubu“, auf dem Grat zwischen machtgeiler Energieexplosion und Entsetzen, sondern serviert Schmunzel-Häppchen.
Drei ältliche Jungs, Berufswunsch: Monarch, spielen als Männer-WG den täglichen Wohnküchenkrieg. Ulkig glitzernde und klöternde Fantasiekostüme im Stil von Gaddafi werden getragen und in wechselnden Koalitionen Machtspielchen inszeniert. Die Darsteller aber zeigen keine spießigen Schlawiner als schaurige Diktatoren, sondern irgendwie sympathische Kindsköpfe in ihrer stets ironischen Spiellust und Alberei.
Alltagstipps wie „Wasser kocht schneller, wenn man es mit einem Messer bedroht“, Reime im Stil von „Die Welt ist besser ohne Menschenfresser“ und Lebenshilfe wie „Wenn ich eine Botschaft suche, gehe ich ins Konsulat“ sind so die Gags – wie auch ein Bauklötzchenturm, der als „tiefgreifend ergreifende Gesellschaftsanalyse“ behauptet wird.
Man schmunzelt hierhin und dorthin, aber zur befreienden Revolution in den Zuschauerköpfen führt das „anarchistische Schauspiel“ (Untertitel) nie, sondern bleibt eher schal: eine sinnfreie Collage lustiger Ideen.
Einen ähnlichen Polittheater-Flop gab’s auch bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Moira Buffinis „Willkommen in Theben“. Im klassischen Agora-Setting eines öffentlichen Raumes und mit britischem Dramenrealismus werden nach dem Ende eines Bürgerkriegs Möglichkeiten des zivilisierten Miteinanders diskutiert.
In Buffinis „Theben“ ist Eurydike nicht mehr die unscheinbare Gattin des großen Staatsmannes Kreon, sondern dieser ist einfach tot und sie ist die Präsidentin. An ihrer Seite steht ein pragmatisches Frauenkabinett. Aber die Frauenpower-Phase wird kein ungetrübter Triumph. Denn wer nachhaltig Gutes tun will, braucht Schutz und vor allem viel Geld.
Also kommt es zur Koalition mit der Männerwelt: Theseus wird auf die Bühne gehievt. Als Vertreter der westlichen Supermacht Athen (sprich: USA) gibt sich dieser Möchtegernfrauenheld unverhohlen imperialistisch.
In einem intimen Kammerspiel könnten die Welten des Stückes aufeinandertreffen und in aller Ruhe erleb- und nachvollziehbar werden – in Oldenburg aber werden sie nur ausgestellt auf einer großen Spektakelbühne. Die Gender-, Politik-, Ökonomie-Debatte verpufft, kein Ansatz, nirgends, zur Entwicklungshilfe für die marktwiderständige Emanzipation.
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