Ein Platz für Orpheus

Mit seinem Roman „Thrakische Spiele“ macht der einstige Prenzlauer-Berg-Lyriker Uwe Kolbe einen Ausflug in die Crime-and-Mystery-Sparte

Was braucht es für einen perfekten Krimi? Zwei Ermittler, eine grausam zugerichtete Leiche sowie eine kräftige Portion Lokalkolorit, bitte schön. All das liefert Uwe Kolbe, zu DDR-Zeiten als Prenzlauer-Berg-Lyriker bekannt, in seinem Roman „Thrakische Spiele“. Und noch mehr. Denn nicht ohne Berechtigung ist das Buch in der Reihe „Dunkle Seiten“ bei Nymphenburg erschienen.

Kastner und Löwitsch, zwei Kommissare der Hamburger Mordkommission, werden nach Bulgarien geschickt. Ein deutscher Tourist, Olaf D., ist im Balkangebirge umgebracht worden. Zwar wurde sein zerstückelter Rumpf gefunden, doch Kopf und Geschlechtsteile fehlen. Die bulgarische Polizei tippt auf einen Ritualmord, tappt aber sonst im Dunkeln. Klar ist nur: Olaf D. hatte Kontakt zu „Hobby-Thrakologen“, die antike heidnische Kulte wieder aufleben lassen. Im Mythos ging es bekanntlich schon immer hoch her, und selbst gestandene Götter mussten befürchten, von ihren nächsten Verwandten zu Čevapčići verarbeitet zu werden.

Doch wurde hier ein deutscher Tourist von ortsansässigen Frauen in Stücke gerissen, wie es die Sage speziell von Orpheus berichtet, dem legendären thrakischen Leierspieler? Glaubt man den antiken Zeugenaussagen, fehlte auch damals am Tatort der Kopf des mythischen Opfers Orpheus, denn den warfen die drastischen Damen ins Meer. Um nachzuprüfen, wie sachdienlich die dreitausend Jahre alte Geschichte ist, gibt sich Ermittler Löwitsch als Freund von Olaf D. aus und versucht nach bester tschekistischer Manier, die bulgarische Thrakologenszene zu infiltrieren. Gelernt ist gelernt, denn Löwitsch stammt aus der Ex-DDR und gilt als versierter Osteuropa-Experte.

Doch das ehemalige sozialistische Bruderland beschert nicht nur ostalgische Déjà-vus und Kontakte zu schönen Bulgarinnen, sondern auch immer heftigere Halluzinationen. Raum und Zeit scheinen sich mehr und mehr in einen orgiastischen Reigen aufzulösen. Ähnlich ratlos wie Löwitsch ist der Leser: Vielleicht ist Olaf D. nur die Maske von Orpheus alias Dionysos im besonderen Einsatz, vielleicht wird aber auch der deutsche Kommissar schlicht von erotomanen Thrakerinnen mit Designerdrogen voll gepumpt. Immerhin verspricht ein bekannter Altphilologe Hinweise zur Klärung des Falles. Doch bevor die Ermittler den schrulligen Gelehrten befragen können, wird er entführt. Zwischen Schwarzem Meer und Karpaten scheinen alle unter einer Decke zu stecken: Polizei, Orpheus-Jünger, bulgarische Chemo-Mafia. Der Balkan hält, was die Broschüren der Reisebüros versprechen: Er bleibt exotisch, mysteriös und undurchschaubar.

Uwe Kolbe führt mit seinem 300- Seiten-Krimi Motive einer Kurzgeschichte weiter, die einige Jahre zuvor unter dem Titel „Der Tote von Belintasch“ erschien. Durch die erzählerische Doppelbödigkeit reiht sich „Thrakische Spiele“ in eine Reihe von Krimis mit literarischem Anspruch ein, wie sie hierzulande etwa Georg Klein oder Jan Costin Wagner schreiben. Lesbar bleibt das Buch trotzdem. Kolbe bedient sich bei seinen „Thrakischen Spielen“ zwar aus dem Steinbruch der Mythologie, erspart dem Leser jedoch nervige Seminarprosa fürs „Literarische Quartett“ – es muss ja nicht täglich Ransmayr sein.

Die bulgarischen Metamorphosen haben schließlich auch so ihren besonderen Reiz. Der Mord an Olaf D. wird zwar vordergründig aufgeklärt. Doch als die beiden deutschen Ermittler mit einer Menge zollfreier Spirituosen im Schlepptau vom Balkan herabsteigen, rätselt man immer noch, ob der Mord an Olaf D. nicht vielleicht doch ein Fall für die X-Akten sein könnte. Zwischen Ufos und Aliens ist schließlich auch Platz für Orpheus. ANSGAR WARNER

Uwe Kolbe: „Thrakische Spiele“. Nymphenburger, München 2005, 339 Seiten, 18,90 Euro