Superman war auch beim Zapfenstreich

BLASMUSIK Begeistertes Schunkeln vor einer Pappkulisse von Schloss Bellevue: Bei der Parade der Militärmusik in der Max-Schmeling-Halle herrscht Mitklatschalarm für Zapfenstreichfans in Uniform. Verwirrte Zivilisten taugen hier höchstens als Gagvorlage

Als Genre-unaffiner und ahnungsloser Erstbesucher fragt man sich, was einen in dieser geheimnisvollen Ecke des Showbiz erwartet

VON GUNNAR LEUE

Nach zuletzt etlichen verfrühten Abgängen deutscher Spitzenpolitiker ist eines offenbar geworden: Der Große Zapfenstreich – die mit militärischer Blasmusik untermalte Abschiedszeremonie – ist hierzulande ein Zuschauermagnet. Wohl auch aufgrund der interessanten Wunsch-Setlist (Blues, Deep Purple etc.) der zuletzt verabschiedeten Herren Köhler, von Guttenberg und Wulff. So bald wird es für die Zapfenstreichfans wohl keine neue Show vor dem Schloss Bellevue geben – bisher sieht es so aus, als ob sowohl amtierender Bundespräsident als auch Verteidigungsminister ihre Amtszeiten durchstehen.

Aber wo ein Wunsch nach Zapfenstreichmusik ist, ist auch ein von der Showbranche gewiesener Weg. Er führt zum Beispiel zur „Musikparade der Militär- & Blasmusik“, die am Freitagabend in der Max-Schmeling-Halle gastierte, schon zum 13. Mal. Im Prinzip ist das eine Fortführung der traditionellen Militärmusikkonzerte, die die Alliierten vor dem Mauerfall gaben.

Ahnungsloser Erstbesucher

Als Genre-unaffiner und ahnungsloser Erstbesucher fragt man sich, was einen in dieser großen geheimnisvollen Ecke des Showbiz erwartet. Wie sehen sie aus, die Fans der Militärmusik, und kommen auch sie in szenetypischer Fankluft, gar in alten Uniformen mit Orden an der Brust? Und sind auch junge Leute darunter, wie bei den Konzerten der Volksmusikanten? Das kann man sich auch immer nicht vorstellen, ist aber so.

Letzteres zumindest kann man hier komplett vergessen. Das Publikum in der fast gefüllten Zehntausenderhalle besteht aus ziemlich bis sehr betagten Zuschauern. Umso erstaunlicher, dass zum Opening mit den ukrainischen und russischen Militärmusikern gleich mal Superman und -girl auftauchen und zur passenden Filmmusik durch den weiten Innenraum tanzen.

Dann folgt, vor der Kulisse einer nach Bellevue aussehenden Schlossfassade, der Einmarsch von 400 Musikern und Flaggenträgern. Der Moderator verspricht ein tolles Programm mit militärtraditionellen, aber auch mit moderneren Klängen. Die Orchester aus der einstigen Sowjetunion beginnen erst mal mit einem flotten Udo-Jürgens-Medley: Zu „Griechischer Wein“ schunkeln die Soldaten in aller Länder Uniformen vor den Zuschauern, und die Zuschauer schunkeln begeistert zurück.

Dann kommt – „Vielen Dank an das polnische Verteidigungsministerium“, freut sich der Moderator – das Garnisonsorchester Elblag, sehr zünftig, aber auch mit kleiner Gageinlage in Form eines verwirrten Zivilisten mit Posaune.

Nach der kanadischen Polizeidudelsackformation steht plötzlich ein junger Berliner Bundeswehrsoldat in der Saalmitte. Der Moderator holt eine Frau samt ihrer kleinen Tochter aus dem Publikum. Sie ahnt, was kommt, und wirkt etwas peinlich berührt, aber der Soldat hält es militärisch kurz: „Katrin Klem, möchtest du meine Frau werden?“ Dann marschiert er zackig auf sie zu, salutiert und bringt sie zurück auf ihren Platz.

Anschließend kommen Musikanten aus Österreich, um die Erfolgsformel des Genres zu enthüllen: je forscher der Marschrhythmus, desto größer die Klatschlust. Als die Trachtenbläser kurz den Radetzky-Marsch anspielen, gibt’s Mitklatschalarm. Die Johann-Strauss-Komposition ist eindeutig der Smash-Hit der Militärmusikunterhaltung, weshalb er erst beim großen Finale in voller Länge erklingt.

Zuvor liefern aber noch die offiziellen Abgesandten aus Putin-Land, das Militärmusikkorps Perm, eine bemerkenswerte Performance: Ein Samowar tanzt mit. Am Ende entsteigt dem Kostüm ein Lederhosensepp, der zu „Oans, zwoa, g’suffa“ schuhplattelt. Noch vor 15 Jahren wäre so ein Auftritt eines russischen Militärorchesters hier doch undenkbar gewesen, sagt die Pressefrau des Veranstalters. Und dass die Militärmusik als Fest der Nationen heute zur Völkerverständigung beitrage. Auch aus Respekt gegenüber den Zuschauern, die noch das Kriegsleiden erlebt haben, spende man nach der Musikparade-Tournee 70.000 Euro an den Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge.

Während am Schluss der Marsch „Alte Kameraden“ erklingt, steht auf dem Zuschauerrang schüchtern ein russischer Musiksoldat mit einem Stapel „Hits der Musikparade Vol. 3“-CDs, die man bei ihm kaufen kann. Das hätte man vor 15 Jahren auch nicht gedacht.