VERPASSTE MOMENTE: Saschas Komplimente
BVG
Die BVG hat auf ihrer Internetseite die Rubrik „Meine Augenblicke“. Dort können Fahrgäste, die angesichts der Traumfrau oder des Traummannes die Zähne nicht auseinanderbekommen haben, dieses nachholen. „Ein schüchternes Lächeln am Fahrkartenschalter, ein Augenaufschlag an der Endstation – oft reicht ein einziger, magischer Moment, um eine Bekanntschaft fürs Leben zu schließen“, schreibt die BVG. „Nicht mutig genug gewesen? Hier ist Ihre zweite Chance! Ergreifen Sie die Initiative.“ Jeder kann seinen „ganz persönlichen Augenblick“ niederschreiben – und warten.
Ich habe mich immer lustig gemacht über die, die im entscheidenden Moment nicht reagieren. Das mache ich nicht mehr. Ich stand, das neue Jahr war drei Stunden alt, am Bahnsteig der U 5 am Alexanderplatz. Inmitten von verfrorenen Frauen und betrunkenen Männern, die im Nebel von unterirdisch gezündeten Silvesterraketen auszumachen waren, stand ein junger Mann mit blonden Haaren und lächelte mich an, ganz direkt und sehr sympathisch. Nach einem zweiten Blickwechsel kam er entschlossen zu mir gelaufen. „Die siehst voll hübsch aus“, sagte er. Ich war baff, gerührt, geschmeichelt, alles zugleich. Der Typ gefiel mir. „Das neue Jahr fängt ja toll an“, bedankte ich mich für das Kompliment. Wir unterhielten uns über die Silvesternacht. Er hatte sie zu Hause verbracht und war auf dem Weg zu einer Freundin, mit der Straßenbahn. Ich fragte ihn nach seinem Namen, Sascha, verriet ihm meinen, gab ihm die Hand und stieg in die U-Bahn.
Keine Ahnung, warum ich blöde Kuh ihm nicht einen Spaziergang am Neujahrstag vorgeschlagen habe. Auf der Seite der BVG steht jetzt dieser verpasste Moment. Ich glaube nicht, dass man dem wahren Leben online auf die Sprünge helfen kann. Aber ich würde gern noch mehr Komplimente von Sascha hören. BARBARA BOLLWAHN
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