Pechmarie unter der Discokugel

GRELLE GRIMMS Im Hexenkessel Hoftheater werden Schneewittchen, Frau Holle und die sieben Zwerge zu Zicken, Diven und heißen Schnitten

„Wer hat von meinen kalifornischen Maronen-Maracuja-Muffins gekostet?“

SCHNEEWITTCHEN

Man hätte es längst wissen müssen. Die idyllische Männer-WG hinter den sieben Bergen ist mehr als eine Wohngemeinschaft. Der siebente Zwerg ist eifrig dabei, die Harmonie zu wahren, und schläft daher jede Nacht mit all seinen Gesellen. Eine Stunde mit jedem, um genau zu sein. Da kommt ein naives Mädchen daher und will bei den Jungs unterkommen. Sie hat ja keine Ahnung, was sie erwartet: „Wer hat von meinen kalifornischen Maronen-Maracuja-Muffins gekostet? Wer hat meine Pink Edition von ‚Dirty Dancing‘ angeschaut?“

So jedenfalls will es die Interpretation von „Schneewittchen“, die in diesem Winter in der Märchenhütte des Hexenkessel Hoftheaters in Mitte aufgeführt wird. Regisseur Jan Zimmermann streut Glitzerstaub und Camp über die Märchen der Brüder Grimm und lässt Glühwein servieren. Das Ergebnis ist „Pink Grimm“, die queere Märchenwelt im Monbijoupark, in der die Schauspieler Andreas Köhler und Roger Jahnke die traditionellen Rollen von Schneewittchen und Frau Holle ganz gründlich durcheinanderwirbeln.

Versöhnung mit Abba

Zu zweit sind sie mehr als sieben Zwerge und ein Schneewittchen. Mit Ballkleid und falschen Wimpern stürzen sie sich auf die Originaltexte der Grimms. Sie zerfetzen die Zusammenhänge, fallen sich gegenseitig ins Wort. Wo eben noch die Schneeflocken wie Federn vom Himmel fielen und die Königin ein Kind gebar, so weiß wie Schnee, die Lippen so rot wie Blut und das Haar so schwarz wie Ebenholz, da plärrt es nun aus dick geschminkten Mündern: „Ein Federkind vom Himmel rot, so schwarz wie eben … Holz?“ Der junge Königssohn ist eine heiße Schnitte und rettet ganz nebenbei das Schneewittchen: „Da geschah es, dass die Hete stolperte …“

Auch in „Frau Holle“ lassen Köhler und Jahnke die zwei Schwestern ganz neu aufleben. Die fleißige Goldmarie wird zur ambitionierten Cheerleaderin, während die hässliche Pechmarie als Gothicpunkmädchen alles und jeden scheiße findet, außer ihren CD-Player. Erst als die beiden in den Brunnen springen, wird im Dunst der Nebelmaschine alles anders: Im Partyland von Madame Hollow lebt Pechmarie richtig auf und zeigt ihrer verwirrten Stiefschwester, wo die Discokugel hängt. Nach einigem Zickenstreit vertragen sich die beiden Diven bei einer gemeinsamen Abba-Choreografie.

Das Programm „Pink Grimm“ umfasst zwei der insgesamt 20 Märchen, die das Ensemble des Hexenkessel Hoftheaters in der Märchenhütte spielt. Wo im Sommer ein Open-Air-Amphitheater stand, sind für die Wintersaison zwei uralte ostpolnische Holzhütten aufgebaut. Jeden Tag gibt es mehrere Aufführungen, wobei pro Vorstellung zwei Stücke von je zwei Schauspielern gespielt werden. Es gibt verschiedene Kategorien: Am Vor- und Nachmittag werden Märchen für Kinder aufgeführt, abends nur solche für Erwachsene, darunter auch „Gruselmärchen“ und „Pink Grimm“. Dazu gibt es Glühwein, Kuchen und Kakao sowie jede Menge offensichtliche und versteckte Witze, reihenweise Überraschungen und schauspielerische Leidenschaft. So viel Leidenschaft herrscht in der so kleinen, engen Hütte, dass das Publikum in der ersten Reihe durchaus die märchenhaften Spucktröpfchen ertragen muss.

Die Inszenierungen des Hexenkessel-Ensembles tauchen die Grimm’schen Märchen in ein Comedy-Licht und bewahren auf eigentümliche Weise doch den vertrauten Charakter der alten Geschichten. Durch den ungeheuer schnellen Kostümwechsel und die schrillen Kleider werden zwar die moralischen Botschaften der Geschichten in den Hintergrund gerückt – aber die sind ja auch schon hinreichend bekannt. Und was an Heteronormativität in den Grimm’schen Märchen zu viel ist, das macht ein Abend mit „Pink Grimm“ allemal wieder gut.

MARGARETE STOKOWSKI

■ Pink Grimm!, bis 25.2., jeden Donnerstag 21 Uhr in der Märchenhütte. Mehr Infos unter www. maerchenhuette.de