Wenn die Zeichen überschießen

GELD Was verspricht die Börse? Jedenfalls nichts, was sie einhalten kann. Anlässlich der Ausstellung „Die Sprache des Geldes“ sprach Ulrike Vedder am Dienstag über die Darstellung von Börsenspekulation in der Literatur

„Die Erwartung einer Tatsache“, heißt es bei Joseph de la Vega, „macht mehr Eindruck als die Tatsache selbst“ Die Börse vermag – so stark die Spekulationsblase auch gefüllt wird – nie einzulösen, was sie einzulösen vorgibt

VON ANDREAS RESCH

In der Literaturgeschichte gibt es eine reiche Tradition an Werken, die sich intensiv mit dem Wirtschaftsleben in ihrer jeweiligen Epoche auseinandersetzen. Man denke etwa an Lessings „Minna von Barnhelm“. Dort wird der inflationäre Handel mit Schuldscheinen nach dem Siebenjährigen Krieg zum Ausgangspunkt einer verzweigten Reflexion über unterschiedliche Schuldigkeiten. Oder, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, an die Romane des Unternehmers Ernst Wilhelm Händler.

Als den „annihilierendsten aller Signifikanten“ hat der Psychoanalytiker Jacques Lacan das Geld einmal bezeichnet. Um diesen Signifikanten im Kontext von Spekulation und Börse ging es am Dienstagabend in einem Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Ulrike Vedder. Im Rahmen der Ausstellung „Die Sprache des Geldes“ im Museum für Kommunikation sprach Vedder über zwei literarische Werke, die das Geschehen an der Börse reflektieren: zum einen Joseph de la Vegas „Die Verwirrung der Verwirrungen“ aus dem Jahr 1688, zum anderen Émile Zolas knapp zwei Jahrhunderte später erschienener Roman „Das Geld“.

In ihrer Analyse zeigte Vedder, wie de la Vegas dialogischer Text in einer mit mythischen und biblischen Verweisen angereicherten Diktion „eine Überdrehung als systematisches Element der Börse“ simuliert. Das Überborden der Signifikanten steht hierbei für das übersteigerte und permanent aufgeschobene Sinnversprechen der Börse. Denn die Börse vermag – so stark die Spekulationsblase auch gefüllt wird – nie gänzlich einzulösen, was sie einzulösen vorgibt. „Die Erwartung einer Tatsache“, heißt es im Text von Joseph de la Vega, „macht mehr Eindruck als die Tatsache selbst.“

Zolas Roman funktioniert ähnlich. Auch hier wird auf erzählerischer Ebene das Geschehen an der Börse mimetisch nachgebaut, allerdings anhand von schier endlos aneinandergereihten ausgeschriebenen Zahlenreihen. Sie offenbaren die Absurdität des Gebildes Börse mitsamt seiner mitunter entropischen Chaotik. Zugleich bedient sich der Roman einer Metaphorik, die den Geldstrom mit dem Blutstrom im Körper eines Menschen gleichsetzt. Vedder spricht von einer „zunehmenden Derealisierung“, der der Protagonist, der Spekulant Saccard, im Verlauf des Romans ausgesetzt ist. Die immer unkalkulierbarer werdenden Drehungen an der Börse lassen sein imaginiertes Gebilde aus Versprechungen letztendlich zerplatzen.

Im Gegensatz zu Ulrike Vedders spannendem Vortrag ist die Ausstellung selbst eher enttäuschend. Von einer Ausstellung, die „Die Sprache des Geldes“ heißt, darf man erwarten, dass sie Einsichten darüber vermittelt, wie Geld als Mittel der Kommunikation funktioniert. Schließlich verspricht der Titel einen semiotischen Ansatz, eine Betrachtung von Geld als Zeichensystem. Wie eine solche Darstellung aussehen kann, hat Niklas Luhmann in „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ aufgezeigt, wo er jene gesellschaftlichen Prozesse beschreibt, die mit der Herausbildung einer abstrakten Geldwirtschaft einhergingen: die Tatsache etwa, dass durch die Einführung des Geldwesens die Knappheit einzelner Güter in eine Knappheit des Mediums Geld überging. Oder der mit dem Geld verbundene Informationsverlust: Weder muss ein Käufer sein Gegenüber über die Herkunft des eigenen Geldes informieren, noch muss der Empfänger erklären, was er mit diesem Geld anfangen möchte.

Umso ermüdender ist es, wenn man feststellt, dass die Ausstellung letztendlich kaum mehr ist als eine sich überwiegend über Schrifttafeln mitteilende Chronologie des Geldes. Jene Eigendynamik, die ein solches System mit der Zeit zwangsläufig entwickelt, jene Veränderungen in den Kommunikationsmöglichkeiten, die mit einem immer abstrakter werdenden Wirtschaftssystem einhergehen – all das wird weitgehend ausgeblendet.

Zumindest lassen die Fotografien und historischen Exponate der Ausstellung einen gewissen Schauwert zukommen. Zu sehen sind unter anderem Manschettenknöpfe aus Fünfzig-Pfennig-Stücken, ein überdimensionaler chinesischer Geldschein aus dem 14. Jahrhundert und Briefe Mozarts und Beethovens an ihre Gläubiger.

Dem Anspruch der Ausstellung gerecht werden immerhin noch jene Bilder, auf denen die Zeichensprache der Börsenmakler erklärt wird. Etwa die Geste für „Kaufe 50“, für die man sich mit den ausgestreckten Fingern der rechten Hand gegen die Stirn schlagen muss, oder das Zeichen für „Ich bin raus“. Letzteres weist verblüffende Ähnlichkeit zur aus Gangsterfilmen bekannten Geste für „Ich schneid dir die Kehle durch“ auf. Man hat es ja irgendwie schon immer geahnt.

■ „Die Sprache des Geldes“. Bis zum 14. Februar im Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16. Di.–So., Eintritt 3, ermäßigt 1,50 Euro